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Desinteresse, Klischees, Manipulationen

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Parteien präsentieren Programme und jugendliche Spitzenkandidaten, versprechen mehr Mitbestimmung und Demokratisierung, frischen Wind, Aufgeschlossenheit und Aktivität. Allenthalben vernimmt man das Buhlen um die Gunst der Jugend. Genauer gesagt, um jene Gruppe, die bei den Nationalratswahlen im März zum ersten Mal „zur Urne schreitet“.

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Parteien präsentieren Programme und jugendliche Spitzenkandidaten, versprechen mehr Mitbestimmung und Demokratisierung, frischen Wind, Aufgeschlossenheit und Aktivität. Allenthalben vernimmt man das Buhlen um die Gunst der Jugend. Genauer gesagt, um jene Gruppe, die bei den Nationalratswahlen im März zum ersten Mal „zur Urne schreitet“.

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Fast täglich wird der die Ordnung als oberste Pflicht anerkennende Bürger von Meldungen aufgeschreckt, die von Studenten auf Barrikaden wissen, die von einer kritischen, permanent revoltierenden und Übereinkommen zerstörenden Jugend berichten. Dieses von Massenmedien in allen Extremen fast wollüstig gezeichnete Bild hält einer kritischen Durchleuchtung — zumindest, was österreichische Verhältnisse betrifft — nicht stand. Gewiß verstehen sich manche „Drop-outs“ der Gesellschaft als revolutionäre Avantgarde, als lautstarke Künder einer neuen Heilslehre und als Kämpfer gegen eine bankrotte, undurchschaubare, folglich undemokratische Politik. Damit sprechen sie aber wieder nur jenen Kreis Intellektueller an, dem jenseits der politischen Reizschwelle die Beschäftigung mit Problemen der Politik und Gesellschaft, sei es in extrem radikaler, sei es in gemäßigter Art, ein Bedürfnis ist.

Die Mehrheit der Jugend aber befindet sich (noch!) jenseits dieser Reizschwelle und schweigt. Aber genau diese „schweigende Mehrheit“ ist es, die als Faktor „Jungwähler“ Wahlen entscheidend beeinflußt. Jungwähleruntersuchungen fördern interessante, zum Teil allerdings erschütternde Tatsachen zutage. Das politische Wissen und damit das Interesse an Politik ist sehr, sehr gering. Wurzeln für dieses Desinteresse findet man teils im Elternhaus und in der Schule, teils in der Mentalität des Österreichers und in der Informationspolitik der Massenmedien. Die Schule versäumt es anscheinend, den Schülern politische Vorgänge verständlich zu machen, und unterläßt es, die elementarsten Probleme moderner Demokratien, deren Verflechtungen und Machtstrukturen transparent werden zu lassen.

Lieber Vergnügen

Die Demoskopen behaupten, daß daneben meist auch noch das Eltern-

haus versagt, sei es, weil man die nötigen politischen Kenntnisse selbst nicht hat, sei es, weil man „ein politisch Lied“ a priori für „ein garstig Lied“ hält. Folgerichtig kommt es dann zu der landläufigen Meinung, daß „es auf einen“ nicht ankomme. Politische Parteien und „die da oben“ — wird in einer psychologischen Studie behauptet — hätten Eigengesetzlichkeiten entwickelt, die sich dem Einfluß des einzelnen längst entzogen haben. Da man ja ohnehin „als Junger“ nicht die geringste Chance habe, mitzubestimmen, sei es viel klüger, sich dem eigenen Wohlergehen zu widmen, als sich hoffnungslos für irgend etwas Aussichtsloses zu engagieren. Es sei denn, man hofft persönliche — womöglich materielle — Vorteile aus einer politischen Aktivität zu ziehen. Jungwähler stufen sich selbst („so ist eben unsere Mentalität“) als dem Vergnügen zugewendet ein.

Auch die Information, die man aus Massenmedien zieht, ist eher oberflächlich und zufällig. Nachrichten in Rundfunk oder Fernsehen werden nebenbei „konsumiert“ und daher nicht bewußt aufgenommen. Die Schlagzeilen der Zeitungen überfliegt die Mehrheit der jungen Wähler, mit dem nachfolgenden Artikel setzt man sich kaum auseinander. Background-Information und Kommentare verschmäht man und gibt sich mit leichter Faßlichem zufrieden.

Affären, die von Zeitungen breit-und in des Wählers Gedächtnis getreten werden, sind eben nicht dazu angetan, Interesse für Politik zu wecken. Jugendorganisationen — gleich welcher politischen oder weltanschaulichen Richtung — lehnt die Mehrheit der Jungwähler kategorisch ab, sei es, da,ß man sich wehrt, vorfabrizierte Meinungen serviert zu erhalten, sei es, weil man „Berufsjugendliche“, die solche Organisationen meist managen, zurückweist.

Auch haben die österreichischen Jungwähler keinerlei Bindungen zum Politiker. Sie fühlen sich durch

einen tiefen Graben „von denen da oben“ getrennt. Befragungen über den idealen „Wunsch-Politiker“ ergeben, daß dieser jung, aktiv, strebsam und dynamisch sein, Mut zur Wahrheit, gute Umgangsformen und ausreichendes Durchsetzungsvermögen aufweisen sollte. Vorausgesetzt wird natürlich ein hohes Maß an Intelligenz, Redegewandtheit und Sachkenntnis, daneben müßte er aber ein sachlicher und praktischer

Mann sein. Sein Außeres müßte geprägt sein von dezenter Eleganz mit kleinen Extravaganzen; das günstigste Alter wäre Mitte- bis Enddreißiger, da geistige Flexibilität und Elastizität und Verständnis für die Jugend nur in relativ jugendlichem Alter vorhanden sein sollen.

„Rechts“ und „Links“ als Stereotype Bei der Beurteilung der politischen Parteien differieren die Anschauungen der Jungwähler beträchtlich. Im allgemeinen werden allerdings Primitivstereotype ausgesagt. Man stellt sich die ÖVP als kapitalistische Mittelstands- bis Oberschichtenpartei dar, die starke Bindungen — wenn auch nicht mehr so starke wie

früher — zur Kirche hat. Die ÖVP hat das Image bei den Jungen, eine Partei zu sein, der zwar viele Fachleute zur Verfügung stehen, die aber dennoch sozial niedere Schichten aus ihrer Politik ausklammert. Die SPÖ hingegen wird nach wie vor als eine Arbeiterpartei charakteVi-siert, deren Ziel und Aufgabe es ist, sich um die Nöte und Sorgen der Arbeiterklasse zu kümmern. Dadurch wird auch der SPÖ die Fähig-

keit abgesprochen, für alle Österreicher da zu sein, ja man ist sogar der Meinung, daß der „Kampf für die Arbeiter“ oft demagogisch und unehrlich geführt wird.

Vergebliche Progressivität

Sehr bedauerlich ist die starke Polarisierung in „Rechts“ und „Links“, die Perpetuierung von Vorstellungen, die man längst für revidiert gehalten hatte. Das beweist neuerlich, daß die Jugend geneigt ist, trotz oberflächlicher Kritik letztlich Herkömmliches zu übernehmen. Vor allem der SPÖ nahestehende Jungwähler tendieren dazu, die Partei ihrer Väter zu wählen. Gegenüber den beiden Großparteien

nimmt sich die FPÖ in der Vorstellung des österreichischen Jungwählers recht unbedeutend aus. Man sieht in ihr eine kleine, unbedeutende Partei, die zwar immer wieder große Anstrengungen macht, mehr Einfluß zu gewinnen, letztlich aber scheitert; sei es wegen ihrer ewigen Oppositionsrolle, sei es wegen der unklaren Haltung gegenüber den beiden großen Parteien, sei es wegen der politischen Vergangenheit ihrer Mitglieder. Die Behauptung, bei den letzten Landtagswahlen hätten viele Jungwähler FPÖ gewählt, bestätigen sich in den Untersuchungen offensichtlich nicht. Aus der Vorstellung über die großen Parteien ergibt sich die Forderung der Jugend nach einer großen Koalition. Man glaubt dadurch eine „Politik für alle Österreicher“ erreichen zu können, nimmt etwaige Verlangsamungen des Arbeitstempos gerne in Kauf, wenn man sicher sein kann, daß beide Parteien nicht für „die eigene Tasche“ — wie es bei einer Alleinregierung leicht vorkommen könnte — arbeiten zu sehen. Hat man in den Parteisekretariaten die Bedeutung der Jungwähler erkannt, so ist man in der Frage, wie man sie am besten durch die Propaganda anspricht, noch recht uneins. Weiß man doch aus den Untersuchungen auch, daß der herkömmliche Wahlkampf auf Grund seiner Hypertrophie, seiner pausenlosen Belästigung des uninteressierten Wählers und seiner hohen Kosten von der Jugend durchwegs abgelehnt wird.

Auf jeden Fall haben die durchgeführten Befragungen zum Teil wie ein Schock in den Parteisekretariaten gewirkt. Denn die mobileren Kräfte setzten stark auf die Jungwähler, von denen man Progressivität erhoffte. Statt dessen zeigt sich, daß der österreichische Jungwähler bereits das Opfer stereotyper Manipulation geworden ist. Und es gibt bereits viele Politiker, die jetzt ihren Standpunkt bestätigt sehen, demzufolge man eine Politik für die Jungen nicht mehr zu machen brauche...

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