6681856-1961_48_09.jpg
Digital In Arbeit

NEUER JUGOSLAWISCHER DICHTER

Werbung
Werbung
Werbung

DER ROTE HAHN FLIEGT HIMMELWÄRTS. Roman von Miodrag Bulato- v i c. Carl-Hanser-Verlag, München, 1960. 217 Seiten. Preis 14.80 DM.

Nach Ivo Andrics hervorragendem Buch „Die Brücke über die Drina" beschert uns der Hanser-Verlag nun den Roman eines jungen Montenegriners. Miodrag Bulatovič las mit sechzehn Jahren zum erstenmal ein Buch. „Damals schien mir, ich beginne ein Mensch zu werden", stellt er rückblickend fest. Dieser Rausch, den das geschriebene Wort in ihm auslöste, das Glück, die Welt und die Lust und Qual de menschlichen Herzens im Wort einzufangen, ist auch in Bulatovics eigenem Buch spürbar. Er besitzt eine Genialität, wie sie Kindern eigen ist, eine überwältigende Unmittelbarkeit und Ursprünglichkeit. In alltäglichen Szenen: einer Dorfhochzeit, einem Begräbnis auf dem muselmanischen Friedhof des Ortes etwa, werden menschliche Schicksale und deren lichte und dunkle Hintergründe offenbar. Alle ist von elementarer Kraft und Fülle: Leben und Sterben, Lachen und Weinen. Glück und Schmerz, Liebe und Haß, Grausamkeit und Zartheit, Schuld und Sühne. Unvergeßlich die Gestalt des glücklich-unglücklichen Muharem, mit dem alle Mitleid haben, weil er arm und krank ist, den sie alle aber auch quälen, weil er in seiner Güte und Menschlichkeit sie an ihre eigene Unzulänglichkeit erinnert. Muharem mit dem „großen, unverwüstlichen Herzen", für das sein schöner roter Hahn Sinnbild ist. Eine dämonische Szene, in der die Hochzeitsgesellschaft Schindluder treibt mit diesem Hahn, der schließlich, von vielen Kugeln getroffen, geradewegs in den Himmel fliegt. Wie sein ge liebter roter Hahn gepeinigt und geschunden, macht Muharem Ile Verwirrungen der anderen zuschanden. Einer seiner letzten Gedanken ist, „Mensch zu werden. Bedeutet das, niemanden beleidigen. niemanden mißhandeln? Und aus seinem Herzen das Bosą vertreibe , das dort ständig schläft und. lauert? Die Un- gerecJwiakiBitefl und AUcheulichkeiten der anderen vergessen? Seine jämmerlichen, traurigen Wünsche sich aus dem Kopf schlagen?"

Diese Sehnsucht, den anderen Menschen und sich selbst nicht zu verfehlen, durchzieht das ganze Buch Bulatovičs. Wie schön ist diese ungebrochene Menschlichkeit, die Poesie der Bilder und Visionen. Ein wenig ungezähmt, gewiß, wie alles ursprüngliche Leben. Dafür aber schlägt das Herz warm und mild, wie wir es in unserer zurechtgezimmerten Welt kaum noch zu hören bekommen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung