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Joie de vivre

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Der Schweizer Schriftsteller Kurt Guggenheim, dessen Roman „Riedland“ wir seinerzeit mit Freude anzeigten, beschenkt uns in seinein neuen Buch gleich in zweifacher Hinsicht. Einmal dürfen wir entscheidende Jahre seiner eigenen geistigen Entwicklung nacherleben, in denen er wesentliche Erkenntnisse vollzieht, die aus dem Materialismus unserer Zeit herausführen. Und zweitens gibt Guggenheim, eingeflochten in seine autobiographischen Kapitel, ein hinreißendes Bild von der Persönlichkeit und dem Werk J.-H. Fabres, des großen französischen Naturforschers, der für viele Leser eine Neuentdeckung bedeuten dürfte, eine, für die sie dankbar sein werden.

Die Begegnung mit Fabre, dessen Leben in freiwilliger Armut, um eines Werkes Willen, das er liebte, dem er dienen wollte und mußte, wird zum entscheidenden Anstoß für Guggenheim, sein eigenes Dasein in Ordnung zu bringen, es auf tragfähigen Fundamenten aufzubauen. An dem großen Beispiel Fabres erkennt er, im Augenblick des Verlustes einer gesicherten bürgerlichen Existenz — die in der Schweiz vielleicht noch mehr bedeutet als anderswo in der Welt —, die tiefen Möglichkeiten, die im Verzicht, in der Bescheidung, in der Geduld und in der Armut liegen — einer angenommenen, fröhlichen Armut.

„Friede und Heiterkeit sind in mir eingekehrt. Der Besuch des Engels. Vollkommene innere Freiheit. Eines der wunderbarsten Dmge, die ich je in meinem Leben empfunden habe ...“ darf er damals notieren. Und später, beim Überdenken jener Erfahrung:

„In einem solchen Augenblick fließen ungehindert alle Quellen des Lebensgefühls, man erlebt die Freude über die Welt. Ich hatte dabei die deutliche Empfindung, man müsse, “um dieses Ergebnisses teilhaftig zu werden, arm sein, und man müsse diese Armut hingenommen haben.“ Zwei andere Dinge bezaubern Guggenheim immer von neuem an seinem Leitbild: einmal die „joie de vivre“, die in Fabres eigenem Dasein spürbar ist und die für ihn alle Kreatur auf ihre Weise verkündet:

„ht der Geige der Heuschrecke, dem Dudelsack des Laubfrosches, den Zimbeln der Zikade erkenne ich nur ein Instrument, um der Lebensfreude Ausdruck zu verleihen ...“

Das zweite ist, daß für Fabre in einer Zeit, deren Naturwissenschaft auf Darwins und Lamarcks Theorien basiert, Gottes Wirken in der Natur nur um so gewisser, daß ihm dieses geradezu zum Ausdruck des Göttlichen wird. Guggenheim zitiert einmal die beinahe erschreckende Antwort Fabres auf die Frage, ob er denn wirklich an Gott glaube: „Ich glaube nicht an Ihn — ich sehe Ihn.“

Aus diesen Andeutungen wird man ablesen, daß Guggenheim genau das zu geben hat, was uns heute not tut und was wir so selten noch geschenkt bekommen. Sein Buch gehört zu den wenigen Werken, die man zum Ende hin immer langsamer liest, um den reinen Genuß der Lektüre auszudehnen, und von denen man weiß, daß man sie sehr oft wieder in die Hand nehmen wird.

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