Liberte-daction - © Foto: © Nurith Wagner Strauss

Goebbels’ „Liberté d’action“: Die Welt als reflexives Kammerspiel

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Die Wiener Festwochen zeigen David Bennent in einem szenischen Konzert mit zwei Klavieren: „Liberté d’action“ von Heiner Goebbels.

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Die Wiener Festwochen zeigen David Bennent in einem szenischen Konzert mit zwei Klavieren: „Liberté d’action“ von Heiner Goebbels.

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Vorhandenes ergänzen, auf Neues hinweisen. Seit die Wiener Festwochen vor siebzig Jahren gegründet wurden, hat sich an diesem Anspruch nichts geändert. Ihm gerecht zu werden, schließt auch ein, für andere als die üblichen Publikumsschichten interessant zu sein oder zu werden. Und tatsächlich, die Besucher der Wiener Festwochen scheinen, wie man seit Jahrzehnten beobachten kann, besonders neugierig, zeigen sich betont offen für Novitäten.

Das kann auch ein Beitrag zur vielzitierten Postmoderne sein, wie Heiner Goebbels’ „Liberté d’action“. Unter anderem eine Koproduktion mit dem renommierten Frankfurter Ensemble Modern, denn die beiden Musiker dieser auf zeitgenössische Musik konzentrierten Formation – die sich virtuos auf die Möglichkeiten eines präparierten Klaviers (in diesem Fall übrigens beides Bösendorfer) verstehenden, exzellenten Pianisten Hermann Kretzschmar und Ueli Wiget – kommen aus dessen Reihen.

Sie haben an einem solchen, 75 Minuten dauernden Abend viel zu tun. Sind gefordert, immer wieder mit neuen, oft unerwarteten Klängen aufzuwarten, müssen sich vom sich inmitten der Bühne bewegenden Schauspieler gefallen lassen, zuweilen mit ihren Instrumenten in andere Positionen verschoben zu werden. Schließlich geht es auch darum, die unterschiedliche Akustik eines Ortes in die Interpretation miteinzubinden.

Worum es geht, lässt sich einfach beschreiben, auch wenn man damit das Ereignis nur schemenhaft erfasst: um Reflexionen. Denn die sich vom gespenstig Leisen bis zu gewaltiger Wucht erhebende Musik, die wie eine im Moment entstandene, meisterliche Improvisation wirkt, in Wirklichkeit bis ins Detail von Heiner Goebbels fixiert ist, ist unmittelbar verknüpft mit den für diese Performance ausgewählten Texten. Sie stammen von einem, der sich gleichermaßen in der Welt des Wortes wie der bildenden Kunst bewegte: dem Belgier Michaux.

Von einem inmitten des Raumes platzierten Tisch, der gleich einem Studio ausgerichtet ist, konfrontierte der brillante Schauspieler David Bennent, der zwischendurch auch Paravents hin und her schob, um damit ein sich stetig änderndes Bühnengeschehen zu suggerieren, mit Michaux-Texten, von denen man meinte, sie seien eben erst aus der Situation der Pandemie entstanden.

Tatsächlich verbergen sich hinter diesen Worten grundsätzliche, stets aktuelle Fragen jeglicher Existenz. Genau darin liegt das Anliegen dieses nie an Spannung erlahmenden Opus, das sich als eine Art Kammerspiel für drei auf der Suche nach dem eigenen Ich verstehen lässt: eine Aufforderung, dem oberflächlichen Alltag zu entrinnen, dafür umso tiefer in die eigene Persönlichkeit zu dringen, nachzudenken über bilderreiche und symbolhafte Sätze, wie „Linien sind wie Ameisen“, „Das Land schläft, die Stadt ist tot“ oder „Gegenwärtig lebe ich alleine“.

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