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Abrüstung & Bescheidung

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Die Allgegenwart der Parteien vermag viele Probleme der Gesellschaft nicht zu lösen. Im Gegenteil: Eine solche Omnipotenz schürt immer stärker den Unmut der Bürger.

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Die Allgegenwart der Parteien vermag viele Probleme der Gesellschaft nicht zu lösen. Im Gegenteil: Eine solche Omnipotenz schürt immer stärker den Unmut der Bürger.

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Österreich hat eine ausgeprägte Parteiengesellschaft und ist ein zum Schulbeispiel kanonisierter Parteienstaat weit über die politische Meinungs- und Willensbildung hinaus.

Auf die Parteien wird Reformdruck ausgeübt durch Bürgerunmut und -Verdrossenheit, durch soziopolitische Konkurrenzgründungen, aber auch durch Finanzierungsprobleme. Schritte der Bescheidung einzelner Parteien werden durch jene Schwierigkeit belastet, die aus der internationalen Politik als das Problem der „einseitigen” Abrüstung bekannt ist.

Die parteipolitische Durchdringung der Gesellschaft (hohe Mitgliederzahlen, Parteien als „Schleusen” zu Beruf und Wohnung) wird sich nicht aufrechterhalten lassen. Ebenso ist die Sprachflut und Phraseninflation einer ritualisierten Politik Zielscheibe berechtigter Kritik.

Politiker müssen auch schweigen lernen. Die Glaubwürdigkeit des politischen Personals hängt überdies von Stilfragen ab (Arroganz der Macht; gesinnungsethischer Uberschuß), die relativ „billigen” Korrekturen unterzogen werden können.

Besonders deutlich wird das Problem der „einseitigen” Abrüstung bei den Wahlen und erschwert dadurch vernünftige Einsparungen bei der Wahlwerbung; zumindest sollte auf die peinliche Testiomonalwerbung durch prominente Künstler, Sportler und Wissenschafter verzichtet werden, die wie ein säkularisiertes „Segnen der Waffen” anmutet.

Moderne Demokratie im Staat ist auf Parteien angewiesen. Dennoch ist zu erwarten, daß bei Konfliktzunahme die personalisierende und liberalisierende Wirkung des freien Mandats im parlamentarischen Leben stärker zur Geltung kommen wird.

Die Parteientheorie hat immer versucht, den Parteien vor den Staatsfunktionen Verwaltung und Gerichtsbarkeit Einhalt zu gebieten. Der parteipolitische Einfluß auf den öffentlichen Dienst läßt sich jedoch bei Einstellung und Beförderung, aber auch bei der Gestion nicht leugnen (Ämterpatronage, Protektion, Interventionen).

Wenn auch eine vollständige „Neutralisierung” durch Verbot der parteipolitischen Betätigung von öffentlich Bediensteten oder durch volle Selbstergänzung mittels Kooptation keine Durchsetzungschance hat und auch gerade demokratischen Bedenken begegnet, so darf doch nicht auf stärkere Objektivierung und Rationalisierung von Einstellungsund Beförderungsvorgängen, von Qualifikations- und Leistungsgesichtspunkten verzichtet werden.

Überdies könnte eine explizite Einführung des „politischen Beamten” geradezu einen Schutzwall gegen eine völlige Verparteilichung des übrigen öffentlichen Dienstes darstellen.

Die Grenzen der Politik decken sich nicht mit den Grenzen der Parteiaufgaben. Die Parteien müssen parteilose Bürgeraktivitäten in den Formen der gesellschaftlichen Selbstorganisation, der direkten Demokratie in der Gesetzgebung und der Partizipation in der Verwaltung akzeptieren und diese Formen auch nicht selbst wieder „besetzen” wollen.

Durch Bescheidung der Parteien bewirkte Machtverschiebungen sollen zugunsten der Bürger, nicht der Bürokratie oder der Verbände, oder gar eines „starken Mannes” erfolgen.

Die Bescheidung weist auch einen Binneneffekt für die Parteien selbst auf eine „Entschlackung” die zu einer Revitalisierung und Repolitisierung der Parteien und damit des ganzen öffentlichen Lebens führt und die Wert- und Interessenberücksichtigungsfähigkeit ebenso wie das Problemlö-sungs- und Innovationspotential der Parteien, ja des politischen Systems steigert.

Die Ratio gerade großer sozialer Integrationsparteien liegt darin, daß sie schwierige Themen mehrheitsfähig machen und politisches Handeln kontinuierlich gewährleisten können.

Die Reformintention geht dahin, ein stabiles Parteiensystem mit einem Umfeld nicht parteienbesetzter Bürgeraktivitäten zu einem offenen Kapillarsystem politischer Interaktion zusammenzufügen.

Der Autor ist Universitätsprofessor und Vorstand des Instituts für öffentliches Recht, Politikwissenschaft und Verwaltungslehre der Universität Graz.

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