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Der Hirte
Mitte April, in der Blüte des „Prager Frühlings“, besuchte ich Frantisek Tomasek in Prag. Damals war er noch Bischof von Olmütz, residierte aber als Apostolischer Administrator der Prager Diözese bereits seit drei Jahren im „Arcibiskupsky Palace, Hradcanske numesti 16“. Administrator war er geworden, nachdem Kardinal Beran nach Rom ausgereist war, um dort den Kardinalspurpur zu empfangen. Doch Beran blieb im Exil.
1968 war Bischof Tomasek voll Hoffnung. Er war seit 19 Jahren Bischof, aber nur drei davon im Amt gewesen: „Eine harte Zeit, aber sie härtet ab“, sagte er damals. Es war kurz vor Ostern und beim Weggehen bemerkte er optimistisch: „Wir haben nicht mehr Karfreitag, wir haben schon Ostersonntag.“
Vier Monate später marschierten die Truppen des Warschauer Paktes in die CSSR ein, und ich nehme an, daß das die einzigen vier Monate waren, in denen Frantisek Tomasek nicht überwacht wurde.
Fast zehn Jahre dauerte es, bis Tomasek dann Erzbischof wurde, im Jänner 1978. Da war er fast 80 Jahre alt, und in diesen Tagen, am 3 0. Juni, feiert er seinen 90. Geburtstag.
Und er hofft noch immer. Er ist ein ungebrochenes Symbol der Hoffnung nach 40 Jahren Verfolgung unter einem System, das seine totalitäre Macht nach wie vor ungehemmt gegen die Kirche einsetzt. Das staatliche Kirchenamt bestimmt, wer ins Priesterseminar kommt, wer dort lehren darf, wer zum Priester geweiht wird und ob ein Priester in einer Gemeinde Pfarrer wird.
Es gibt die regimetreue Priesterbewegung „Pacem in. ter- ris “, es gibt kaum theologische Bücher in den Landessprachen Tschechisch und Slowakisch, die meisten Bischofssitze sind verwaist, nämlich zehn, zwei offiziell ernannte Bischöfe dürfen ihr Amt nicht ausüben.
Der neunzigjährige Erzbischof in seinemPalais auf dem Hradschin ist ohnmächtig. Und dennoch: Die Kirche in der CSSR lebt. In der Jugend ist ein neuer Geist aufgebrochen, trotz Verfolgung gibt es ein aktives Laienapostolat, und Dutzende geheim geweihter Priester geben das ganze Jahr über Exerzitien.
Frantisek Tomasek ist ein Hirte ohne Macht, aber er genießt Ansehen - auch bei den Protestanten. Er lebt das Beispiel des christlichen Paradoxons von der Macht der Ohnmächtigen.
Ein Blick über die Grenzen aus Anlaß dieses 90. Geburtstages (siehe nebenstehendes Interview,Anm.cLRed.) relativiert vielleicht auch manches, was hierzulande als Problem gesehen wird und doch nur ein Problemchen ist.
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