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Im Baukasten

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Oftmals wird die Frage aufgeworfen, welche Qualifikation. Politiker überhaupt für ihr Mandat, für ihre politische Funktion ausweisen müssen. Und der Weisheit letzter Schluß bei der Antwort ist dann der, daß es keinerlei Qualifikationen bedarf: Politiker kann der werden, welcher sich „hinaufdient“, Qualifikationen sind keine nötig.

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Oftmals wird die Frage aufgeworfen, welche Qualifikation. Politiker überhaupt für ihr Mandat, für ihre politische Funktion ausweisen müssen. Und der Weisheit letzter Schluß bei der Antwort ist dann der, daß es keinerlei Qualifikationen bedarf: Politiker kann der werden, welcher sich „hinaufdient“, Qualifikationen sind keine nötig.

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Wer an die „Hinterbänkler“ im Nationalrat denkt, mag damit recht behalten. Heute ist das politische Mandat noch immer — von Fall zu Fall verschieden — eine Alterserscheinung, die man mit Ausdauer „ersitzen“ kann. Solche Politiker sollen jedoch in Zukunft aussterben:

Bundeskanzler Dr. Kreisky hat in seiner Regierungserklärung ein Gesetz angekündigt, durch welches die politische Bildungsarbeit der Parteien öffentlich gefördert werden soll. Immerhin hat sich also — so kann man daraus ablesen — die Ansicht allgemein durchgesetzt, daß es „so nicht weitergeht“.

Bisher haben die politischen Parteien aus der Not bei der politischen Bilduog ihrer Anhänger eine Tugend gemacht. Viele Kammer- und Gewerkschaftsfunktionäre, die sich Ihr Fachwissen in den einzelnen Organisationen erworben haben, fanden über diese Weichenstellungen ihren Weg ins Politikerlager. Unter der Voraussetzung, daß unsere Politiker im Durchschnitt nicht die schlechtesten sind, kann man aber anderseits annehmen, daß auf diese Weise den verschiedenen Interessenorganisationen wertvolle Kräfte verlorengehen.

Vergleicht man die Ansätze zur politischen Schulung und Bildung innerhalb der beiden Großparteien, so sind die Sozialisten der Volkspartei mehr als um eine Nasenlänge voraus. In der SPÖ gibt es heute schon ein sehr gut entwickeltes Bildungswesen, das in einem „Regulativ für die Bildungsarbeit“ auch im Parteistatut verankert ist. In der Wiener Löwelstraße arbeitet unter dem Abgeordneten Czemetz hauptamtlich ein zehnköpfiges Team im zentralen Bildungsreferat, das die sozialistische Bildungsarbeit dominiert. Hauptaufgabengebiet ist die zentrale Parteischule „Otto-Bauer-Heim“ in Wien, in der in dreisemestrigen

Lehrgängen politische Bildung vermittelt wird. Pro Semester bedeutet das für den Hörer eine Belastung von rund drei Abenden pro Woche. Bei einer Ausfallsquote von etwa 25 Prozent absolvieren zirka 30 Parteigänger einen Kurs. Dazu gibt es zusätzlich Parteischulen in Linz und Wels, welche zweisemestrige Schulungen abhalten. Diese werden durchschnittlich von 50 Hörem frequentiert. Außerdem steht den Bildungswilligen eine Zentralstudienbibliothek mit mehr als 17.000 Bänden an Fachlitenaitur zur Verfügung.

ÖVP-Improvisation

In der Volkspartei fehlt ein derartiges Konzept. 26 Jahre hindurch wurde Bildungsarbeit „rein ehrenamtlich“ — also nebenbei — erledigt. Erst seit dem August 1970 steht der Kämtnerstraße mit Diplomkaufmann Stimemann ein hauptamtlicher Referent zur Verfügung. Die bisherige politische Schulung zeichnete sich durch sporadische Organisation aus: Wenn Not am Mann war, das heißt: vor Wahlkämpfen — wurden Schulungen durchgeführt, die sich jedoch nicht mit grundsätzlichen Fragen, sondern mit Wahlargumentation auseinandersetzten.

Seit etwa eineinhalb Jahren hegt man Pläne mit einer politischen Akademie. Doch über das Planungs- stadiuim ist man noch nicht hinaus gedrungen. Als Übergangslösung wird aber bereits ein ständiges Schulungsprogramm durchgezogen. Eine politische Akademie, wie bei den Sozialisten, mit einem zentralen Bildungsheim im Raume Wien, ist bei der ÖVP immer noch vieldiskutierte Zukunftsmusik. Optimisten hoffen, daß die Pläne zu Beginn des kommenden Jahres Wirklichkeit werden könnten. Die Proponenten eines diesbezüglichen Vereins — Maleta, Generalsekretär Kohlmaier und der bisherige Leiter der politischen Bildung, Mayer — arbeiten an einem Konzept zur systematischen Vorbildung des Partei- niachwuchses und zur Weiterbildung für bereits etablierte Politiker, doch hat die Bundesparteileitung der Volkspartei noch keinen diesbezüglichen Beschluß gefaßt.

Bildung kostet Geld. Vor dieser einfachen Tatsache stehen alle politischen Lager. Die Sozialisten wollen ihr System einer Neuordnung zuführen, die Volkspartei will ihre Bil-

dungsarbeit systematisieren und Im Baukastensystem erweiterungsfähig gestalten. Alle warten mehr oder weinger gespannt auf Dr. Kreisky, wie dieser seine in der Regierungserklärung angekündigten Vorstellungen verwirklichen wird. Von diesem Versprechen hängt es teilweise ab, ob Österreich in Zukunft besser vorbereitete Politiker haben wird — oder nicht: Um ein Auto lenken zu dürfen, braucht man einen Führerschein, um aber die Geschicke eines Staates lenken zu können, hat man bisher keine Voraussetzungen mitbringen müssen …

Solange aber die Parteien nicht in dieser Frage eine klare Stellung beziehen, dürfen sie nicht hoffen, daß der steuerzahlende Bürger Einsehen hat, wenn seine Gelder in die Parteien fließen. Deshalb dürfte Doktor Kreisky möglicherweise auch bei einer raschen Verabschiedung einer öffentlichen Parteisubvention durch Steuermittel scheitern. Am Zug sind

— einmal mehr — die Parteien.

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