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Intellektuelle Verbündete

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Unbemerkt von der breiten Öffentlichkeit bahnte sich ein bemerkenswerter Rollenwechsel an. Während die ÖVP, der seit 1945 nicht zu Unrecht immer wieder Theoriefeindlichkeit nachgesagt wurde, dieses Handikap aufzuholen beginnt, macht sich nun in der SPÖ die antiintellektuelle Selbstgerechtigkeit von Parteimanagern breit. Zum Katalysator dieser Entwicklung wurde das 1972 verabschiedete Gesetz zur Förderung staatsbürgerlicher Bildungsarbeit im Bereich der politischen Parteien.

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Unbemerkt von der breiten Öffentlichkeit bahnte sich ein bemerkenswerter Rollenwechsel an. Während die ÖVP, der seit 1945 nicht zu Unrecht immer wieder Theoriefeindlichkeit nachgesagt wurde, dieses Handikap aufzuholen beginnt, macht sich nun in der SPÖ die antiintellektuelle Selbstgerechtigkeit von Parteimanagern breit. Zum Katalysator dieser Entwicklung wurde das 1972 verabschiedete Gesetz zur Förderung staatsbürgerlicher Bildungsarbeit im Bereich der politischen Parteien.

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Denn die 12 Millionen, die dem Dr.-Karl-Renner-Institut der SPÖ aus diesem Titel zufließen, werden zu einem großen Teil Zwecken zitgeführt, die auch von zahlreichen SPÖ- Insidern für widmungswidrig gehalten werden. Hingegen zog die Politische Akademie der ÖVP mit ihren 11 Millionen pro Jahr ein Bildungs- weik auf, das mit allen angestammten „Wenn-i-nur-a-Büachel-siech“- Allüren radikal bricht.

Die Verlierer der Wahlen von 1970 und 1971 hingegen mußten nicht nur den Verlust all jener Apparate verschmerzen, die eine Regierungspartei, wenn sie will, für die politische Bildung ihrer Anhänger und Nahestehenden nützen kann, sondern die Stunde der Niederlage war auch günstig für die Selbsterkenntnis. Wenn irgendwann, dann war jetzt die ÖVP bereit und in der Lage, die Chancen eines Gesetzes zur Förderung parteipolitischer Bildungs- arbeit zu ergreifen und zu nützen.

Der Rollenwechsel war demnach logisch. Daß den glänzenden Zukunftsperspektiven, die bei der Gründung des Dr.-Karl-Renner-In- stitutes beschworen wurden, so schnell eine so tiefe Ernüchterung folgen würde, war aber zumindest in diesem Ausmaß nicht vorauszu- sehen. Allerdings hatte sich damals auch SPÖ-Zentralsekretär Marsch noch nicht zu jenem Bremser aller Aufbrüche zu neuen Ufern gemausert, als der er sich heute präsentiert.

Wenn heute die Millionen, die der Staat dem Dr.-Karl-Renner-Institut für Zwecke der politischen Bildungs- arbeit zur Verfügung stellt, unter anderem zur Aussendung von besserem Propagandamaterial, etwa eines Kreisky-Buches, verwendet werden, dürfte daran nicht zuletzt ein tiefes Mißtrauen all dem gegenüber, was den Namen politische Bildungsarbeit wirklich verdienen würde,, schuld sein.

Doch immerhin hat wenigstens die Opposition die Bildungschance ergriffen. Unter Akademie-Chef Ma- leta und Vizepräsident Professor Mayer wachen die VP-Pragmati- ker von einst jetzt auf. Ein außerordentlich umfangreiches Veranstaltungspragramm der Politischen Akademie deutet darauf hin, und es ist weder von der Tendenz zur Umfunktionierung noch vom neureichen Prominentenhaschen (siehe die Kennedy-Einladung des Renner-Institutes) gezeichnet. Sėit dem Vorjahr liegen drei politische Grundkurse vor, die das Funktionieren der Demokratie, die Profilierung der ÖVP und soziale und wirtschaftliche Grundprobleme Österreichs behandeln, wie Vizepräsident Mayer berichtete.

Für 1975 sind 32 Bildungsveranstaltungen mit insgesamt 42 Terminen vorgesehen — Seminare für Ab geordnete ebenso wie politische, kommunalpolitische und verhaltenstechnische Grundkurse, Parteimana- gement-Seminare, internationale Seminare und so weiter. Dazu kommt die Forschungsarbeit von insgesamt sieben Teams, die sich mit Problemkreisen wie Kabelfernsehen, Sicher- heitspolitik, Kulturpolitik, regionaler Besiedlungspolitik, der Parteiarbeit in industriellen Ballungszentren und so weiter beschäftigen.

Beide Parteien entlasten, durchaus im Einklang mit dem Gesetzgeber, ihre Kassen, indem sie die Schulung ihrer Funktionärskader und ihrer aktiveren Mitglieder in den staatlich finanzierten Akademien durchführen. In der Reaktion auf die Eigendynamik derartiger intellektueller Tätigkeiten, die natürlich oft über die von den Parteisekretariaten für richtig gehaltenen Ziele hinausschießen, scheiden sich die Interessen und die Geister. Während man in der Kämtnerstraße die Politische Akademie als Ideenlieferanten betrachtet und jede Dynamik, so man sie nicht selbst entfalten muß,, begrüßt, sind in der Löwelstraße starke Reserven gegen alles spürbar, was intellektuelle Dynamik, sprich Unruhe, in die Partei tragen könnte. Kein Wunder, denn die SPÖ will ja vor allem an der Macht bleiben, die ÖVP selbige wieder erringen, und angesichts der Sackgassen, in die sich die Regierungspartei verrannt hat und angesichts einer Politik, die die Feuermauem der Sackgassen durch Feuerwerke der Eloquenz unsichtbar zu machen trachtet, sind kritische Intellektuelle keine Verbündeten.

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