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Schon wieder Grabschändungen

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Schon vor einigen Monaten wurde die Öffentlichkeit auf Verwüstungen von Gräbern im aufgehobenen Judenfriedhof beim Währinger Gürtel in Wien aufmerksam gemacht. Was sich in den letzten Wochen dort abgespielt hat, müßte endlich die dafür zuständigen Stellen wachrütteln! Dabei könnte der von Joseph II. gegründete Judenfriedhof, wäre er nur ein wenig gepflegt, geradezu eine Touristenattraktion für Wien sein!

Die Friedhofsmauer ist mit ANR-

Zeichen („Aktion Neue Rechte“) verschmiert. In dem Biedermeierhaus Semperstraße 64 A war einst ebenerdig die Aufbahrungs- und Zeremonienhalle untergebracht, in der Dreizimmerwohnung des ersten Stockes wohnte bis vor wenigen Wochen ein Friedhofsaufseher.

Das Haus ist völlig devastiert. Das Friedhofstor, obwohl mit einem Schloß versehen und zugesperrt, wird immer wieder aufgebrochen. In der Allee mit ihren uralten Linden sieht man die Reste von Lagerfeuern; Gräber, die ein

' wissenschaftlicher Mitarbeiterder Universität erst vor wenigen Tagen fotografierte, sind zertrümmert.

In der Gruft der Familie Gutmann an der Nordmauer haben es sich sogar ' Sandler bequem gemacht: Sessel stehen darin, Kübel,'Schaufel. Oder haben hier Kinder, die vom anschließenden Währinger Park über die Mauer geklettert waren, einen Gruselspielplatz gesucht?

Freilich ist der Friedhof seit Jahrzehnten ungepflegt, von Efeu überwu chert, stellenweise von mannshohem Unkraut bewachsen. Viele Grabsteine sind schon vor Jahren umgefallen; aber die neuen Akte des Vandalismus sind an frischen Brüchen klar zu erkennen.

Am verheerendsten ist das Friedhofshaus verwüstet: Fenster zertrümmert, Fensterrahmen und Türen herausgerissen, Wände auch mit Hakenkreuzen beschmiert, Tapeten abgerissen, noch vorhandene Einrichtungsgegenstände demoliert, Telefon abgerissen. Es sieht aus wie nach einem Bombenangriff.

Der 200 Jahre alte Judenfriedhofhat wie durch ein Wunder die NS-Zeit überstanden. Dies war einem mutigen Magistratsbeamten, Senatsrat Kraus, zu danken, der dem damaligen NS- Bürgermeister Blaschke den Friedhof als berühmtes Vogelparadies einredete.

Hier sind die Väter und Großväter berühmter Wiener Juden begraben, die vor allem das kulturelle Wien der Jahrhundertwende prägten: Die Oppenheimer und Wertheimstein, die Fischhof und Mauthner, die Königswarter und

Mannheimer oder Heinrich Ritter von Sichrowsky, Bürger von Wien, Mitbe- -gründer und Direktorder Kaiser-Ferdinand-Nordbahn.

Soll, abgesehen von aller gebotenen Pietät, diese kulturhistorisch interessante und in ihrer Art einzigartige Stätte - es sind zumeist Biedermeiergräber - in unserer Zeit den Vandalen preisgegeben sein?

Wo bleibt die Polizei? Wo die Kultusgemeinde? Wo die Stadt Wien? Wo das Denkmalamt?

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