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Unbequemer Moralist

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Den einen galt er lange als unbequemer Moralist, den anderen als Schöpfer lasziver erotischer Akte. Kurz vor seinem Tod im Jahr 1969 überhäuften Ost und West den am 2. Dezember 1891 in Gera geborenen Otto Dix mit hohen und höchsten Auszeichnungen. Anläßlich seines hundertsten Geburtstages ehrt ihn Deutschland gleich mit mehreren Ausstellungen.

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Den einen galt er lange als unbequemer Moralist, den anderen als Schöpfer lasziver erotischer Akte. Kurz vor seinem Tod im Jahr 1969 überhäuften Ost und West den am 2. Dezember 1891 in Gera geborenen Otto Dix mit hohen und höchsten Auszeichnungen. Anläßlich seines hundertsten Geburtstages ehrt ihn Deutschland gleich mit mehreren Ausstellungen.

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Die Neue Nationalgalerie in Berlin zeigt nun bis 16. Februar 1992 an die zweihundertfünfzig Gemälde, Zeichnungen, Kartons und Aquarelle, die ab 11. März auch in der Londoner Täte Gallery zu sehen sein werden. Werke von Otto Dix, einem der bedeutendsten Maler und Graphiker des 20. Jahrhunderts waren - mit Schwergewicht auf den Früh-und Spätwerken - bis 11. November auch in Stuttgart zu sehen gewesen, wohin sich 180.000 Besucher gedrängt hatten.

Das Friedrichshafener Zeppelin-Museum, im Besitz der umfangreichsten Dix-Sammlung, stellte heuer über vierhundert, zum Teil noch unpubli-zierte und der Öffentlichkeit unbekannte Werke all seiner Schaffensperioden vor, und die Städtische Galerie Albstadt bringt bis Jahresende neunzig seiner besten Aquarelle, Gouachen und Tuschzeichnungen aus dem Ersten Weltkrieg; Radierungen, Holzschnitte, Lithographien und Pastelle zur Bibel nach dem Zweiten Weltkrieg. Österreich hat bislang kein Interesse an einer Übernahme einer der Ausstellungen angemeldet.

1925 war Otto Dix nach Berlin gezogen, und zwar auf Anraten seines Verlegers und Galeristen Karl Nierendorf. Hier erlebte er vor allem als Porträtmaler seinen endgültigen Durchbruch.

Die Nationalgalerie präsentiert eine ebenso eindrucksvoll wie einfach inszenierte Schau. Dort hängen Dix' Allegorien von Unschuld und Sünde, Gewalt und Friedfertigkeit, Eros und Tod grell beleuchtet an ruinösen schwarzen Wänden - ein Gag, der die schockierende Wirkung der dem Verismus verschriebenen Szenarien derTryptichen „Großstadt" (1928) und „Krieg" (1931), die dem Künstler das Etikett „Chronist der wirren zwanziger Jahre" eingebracht haben, noch steigert.

Gier und Verdorbenheit Tatsächlich jedoch sind auch diese Arbeiten mit ihren in Posen, Blicken und Gesten erstarrten Figuren, den krepierenden Soldaten, grotesk herausgeputzten Dirnen und den im Tangoschritt dem Abgrund entgegentanzenden Snobs in Smoking und Abendkleid aller Zeiten enthoben. Sie sind Spiegelbilder einer Gott verleugnenden Welt wie sie seit Goya kein zweiter Maler der Menschheit vorgehalten hat.

Dabei war Dix bereits in seinen Berliner Jahren (1925 bis 1927) der Lieblingsporträtist der Hautevolee, die ihm ähnlichen Tribut zollte wie Bert Brecht, obgleich ihr der Maler, wie der Bühnenautor Brecht, die Maske vom Gesicht riß, um überproportioniert aufzuzeigen, was sie an Gier und mannigfacher Verdorbenheit freilegten. Als Beispiel sei das Gemälde des Schauspielers Heinrich George hervorgehoben, der bei Dix zum vom Alkohol gezeichneten Choleriker mit aufgedunsenem Gesicht und wäßrigen Augen wird.

In Friedrichshafen, das drei Geschosse und die Stiegenaufgänge des Zeppelin-Museums den Dix-Arbeiten zur Verfügung gestellt hat, war die breite Palette des Künstlers mehr überprüfbar als in Stuttgart. Dort fand man neben Werken der Neuen Sachlichkeit eine stattlichere Anzahl von Arbeiten aus seiner expressionistischen, futuristischen, dadaistischen und späten Ära, in der er liebevoll romantische Landschaften, Blumenstilleben, Madonnen nach Art alter Altarbilder und Porträts im Stile Holbeins schuf. Erwähnt seien die von van Gogh beeinflußten Ölgemälde „Der Elbfischer" von 1913 und „Der Arbeitslose" von 1920 sowie die Silberstiftzeichnung „Selbstbildnis" von 1937.

Als ein der Kunst eines Hieronymus Bosch, Jan Breughel oder Hans Baidung Grien ebenbürtiger Meister erweist sich Dix mit der „Versuchung des Heiligen Antonius", geschaffen in jenem aufwendigen Mal verfahren, in dem er auf festem, mit Gips überzogenem Holzgrund mit spitzem Mar-derhaarprinsel lasierende Schichten aus Eitempera- und Ölfarben aufgetragen hat, denen eine Leuchtkraft innewohnt, die den Betrachter nahezu blendet. Da sieht man den auf dem Boden gekauerten Heiligen, gequält von grauenhaften Fratzen und allerlei Getier sowie von Wollustvorstellungen in Gestalt einer den Rücken des Eremiten besteigenden, entblößten Blondine.

Daß Dix in seinem Exil am Bodensee nach der Entlassung aus der Dresdener Kunstakademie durch die Nationalsozialisten nur noch selten Werke von solch akribischer Technik und künstlerischer Potenz gelungen sind, ist ebenfalls anzumerken. Vielleicht, kommentieren seine Biographen, hat er angesichts des Zweiten Weltkrieges den Mut verloren, das neue „momento mori" - fürchterlicher als seine früheren Schreckensvisionen -festzubannen.

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