6755606-1967_44_08.jpg
Digital In Arbeit

LIEBE ZUR LANDSCHAFT

Werbung
Werbung
Werbung

G>-oß war der Reichtum an Künstlerpersönldchkeiten, ■

welche Österreich um die Jahrhundertwende hervorgebracht hat Der am 2. Juni 1890 geborene Christian Ludwig Martin war nur um zehn Tage älter als Egon Schiele, dessen Lebenswerk bereits 1918 seinen frühen Abschluß fand. Damals begann erst die eigentliche künstlerische Entfaltung Martins.

Er war als neuntes Kind eines Porzellanfabrikanten in Lübau in Böhmen geboren und hatte wohl von seinem Vater die ersten künstlerischen Impulse empfangen. Der Vater hatte Beziehungen zu bedeutenden Künstlern wie Tilgner, der eine Porträtbüste des Porzellanfabrikanten schuf. So mag es verständlich sein, daß Christian Ludwig Martin nach Absolvierung der Mittelschule an die Akademie in Wien geschickt wurde. Sein Lehrer in der allgemeinen Malerschule war vor allem Delug. In der Meisterschule für Graphik bildete sich Martin bei Rudolf Jettmar und Ferdinand Schmutzer, dessen Lieblingsschüler er gewesen sein soll.

Die sorgfältige Ausbildung in Akt und Draperie finden ihren Niederschlag in erhaltenen Zeichnungen. Erstaunlich gering ist die Anzahl der vorhandenen Ölbilder. Der Einfluß Ferdinand Schmutzers lenkte ganz auf die Graphik, vor allem auf die Radierung.

Die seelischen Erschütterungen des ersten Weltkrieges gingen an Martin nicht spurlos vorüber. Die erste Mappe mit zehn Radierungen Martins erschien im Jahre 1919 im Verlag Gilhofer und Ranschburg. Es entstanden radierte oder in Holz geschnittene Zyklen, freie Folgen, wie die Radierungen „Am Wegrand“, „Vom großen Sterben“, „Einer Mutter Sohn“. „Großstadt“ und „Praterspaziergang“. Wir fühlen uns an die Sprache und an den Ernst eines Wildgans gemahnt.

Eine außerordentliche Beherrschung der graphischen Technik prädestinierte Martin zum Pädagogen. Zuerst am Albert -Realgymnasium als Lehrer bestellt, wurde er 1921 Professor für Graphik an der Wiener Frauenakademie. 1919 war er Mitglied der Wiener Sezession geworden, in der er bereits 1918 ausgestellt hatte und deren Präsident er später durch acht Jahre bis zur Auflösung der Sezession durch Adolf Hitler war. 1925 wurde er zum außerordentlichen Akademieprofessor und Leiter des Abendaktes ernannt. 1928 wurde er ordentlicher Professor der Akademie und übernahm 1936 die Meisterschule für graphische Künste, eine Lehrkanzel, die heute sein Schüler und Nachfolger Melcher inne hat. In der Zeit seiner Lehrtätigkeit an der Akademie der Bildenden Künste in Wien war Martin nicht weniger als sechsmal Rektor.

Sein graphisches Werk bedarf noch einer eingehenden Sichtung. Die vorhandenen Kupferplatten und vor allem die Holzstöcke sind ein besonderer Schatz. Am Holzschnitt bewies Martin eine bewunderungswürdige Disziplin und großartige Gesetzmäßigkeit in der Technik, so daß die Holzschnitte, stark in der „Sezession“ verwurzelt, eine besondere Kostbarkeit darstellen.

Die Vorstellung von Christian Ludwig Martin wäre aber falsch, wenn wir ihn bloß von seinen Werken her betrachten würden. Seinem Schaffen lag ein Menschtum zugrunde, das in der Kunst einen entsprechenden Ausdruck fand. Freundschaften verbanden ihn mit vielen Künstlern und hochgestellten Persönlichkeiten der Wiener künstlerisch interessierten Gesellschaft.

Seine Liebe zur Landschaft und zum Schönen überhaupt kann als ein hervorstechender Zug seines Wesens bezeichnet werden. Von besonderer Intensität sind Radierungen und Naturstudien, wie etwa die aus Hochrindl in Kärnten, während die Aquarelle, wie etwa die Serie mit Landschaften um Velden, anscheinend für Martin stark den Charakter eines persönlichen Erlebens zeigen.

★

Immer wieder zog den Maler der Süden an, 1961 Griechenland. Noch zu Ostern 1967 führte ihn edne Reise nach Jugoslawien, sogar bis nach Montenegro, ohne daß diese freilich einen künstlerischen Niederschlag gefunden hätte.

Das ästhetische Urteil Martins war sicher und wurde gerne gehört. Er war Mitglied des Kunstbeirates der Stadt Wien und bis zuletzt in der Prüfungskommission der Akademie der Bildenden Künste tätig. Viele seiner Blätter sind im Besitz öffentlicher Sammlungen, der Albertina in Wien, des Historischen Museums der Stadt Wien, des Kupferstichkabinetts in Dresden und des Röhrich-Museums in New York.

In seinen letzten Lebensjahren nahm Martin auch großen Anteil an der von Architekt Schwanzer errichteten, neuen Kirchenanlage in Pötzleinsdorf. Er stand der Pötzleinsdorfer Künstlerschaft vor und sprach anläßlich einer Zusammenkunft am 1. Juni 1967 noch in lebhafter Weise über Fragen der Kunst und über den Wandel der Erscheinung des Sakralen. '

Am 2. Juni feierte Martin die Vollendung seines 77. Lebensjahres im Kreise seiner Familie und erlag am 3. Juni den Folgen eines Herzanfalles. Damit schied aus dem Wiener Kunstleben ein liebenswerter Mensch und bedeutender Künstler.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung