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Stiller Sieg der Menschenrechte

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Max Imboden, ein führender schweizerischer Staatsrechtslehrer, meint, mit Berufung auf Schindler, die Staatenwelt des kommunistischen Ostens habe eine in sich selbst nicht haltbare extreme Lösung verwirklicht; denn sie begründe ihren Bestand wesentlich damit, daß sie sich als verheißungsvolles Gegenbild zu einer negativ bewerteten „westlichen” Gesellschaftsordnung ausgibt. Wörtlich schreibt Imboden:

„Es ist daher eine Schicksalsfrage des Westens, nicht ebenfalls aus der bloßen Antithese zu leben, sondern jene Substanz zu fördern und zu mehren, die einen Ausgleich in sich selbst und ein Ruhen in sich selbst erlaubt.”

Alfred Verdroß hat diese Substanz mit seiner „abendländischen Rechtsphilosophie” geborgen.

Seit der Rechtspositivismus die Herrschaft übernommen und das Naturrecht verdrängt hat, seit rund 150 Jahren, werden stets aufs neue Versuche unternommen, eine Gesamtdarstellung der Geschichte des Rechts und des Rechtsdenkens, wie es sich in den europäischen Regionen bewegt, hinzustellen (von den neueren seien aufgezählt: Binder, Larenz, Welzel, Leo Strauß, Carl Freidrich, Stanka, Flückiger, Ernst von Hippel und jüngst: William S eagle. „Weltgeschichte des Rechts”, .München-Berlin, Beck, 1958, amerikanisch in New York 1941 erschienen). Der erste, dem das Unternehmen in vollem Umfang geglückt ist, ist Verdroß, der auch den entscheidenden • Beitrag Israels zur abendländischen Rechtsphilosophie gebührend würdigt.

Der Stoff, den es zu bewältigen gilt, ist so hoffnungslos unübersichtlich, ohne Ufer, ohne Grenzen, daß es den Leser wie ein Wunder anmutet, wenn Verdroß die Aufgabe auf 250 Seiten meistert, elegant und fesselnd, mühelos und ohne Krampf Hier hat die österreichische Jurisprudenz der Welt ein großartiges Werk bereitgestellt. Was aussteht, aber vonnöten wäre, ist, daß einmal eine ähnliche synoptische Geschichte der morgenländischen Rechtsphilosophie zustande kommt! (Ansätze finden wir bei Ernst von Hippel und in der Monographie über die Staatsphilosophie Wladimir į Sol ow je ws von Carl-Heinz Schiel, einem Jünger Hippels.)

,Rechtsphilosophie nach und enthüllt die’ Hauptprobleme des europäischen Rechtsdenkens: die geschichtliche Schau geschieht immer an Hand der zaver- lässigen Maßstäbe der christlichen, namentlich der katholischen Philosophie. Das Werk geht über die Historie weit hinaus, wiewohl es auch diese mit wissenschaftlicher Genauigkeit darstellt; es ist nicht bloß eine wertindifferente, relativistische Beschreibung dessen, was gedacht und wie gehandelt worden ist; sondern es ist vielmehr eine auf Grund des kritischen Realismus.das nachvollzogene Bewegung der Ideen und Probleme des Rechtsdenkens und der Staatswirklichkeit. Die „Abendländische Rechtsphilosophie” entwirft zugleich eine eigene Rechtsphilosophie des Autors! Das Werk drückt jene glückliche Synthese aller Vorzüge aus. die ein Rechtsgelehrter in sich vereinigt, der gleichermaßen mit den Elementen der Völkerrechtsordnung und der inneren Verfasstingsordnungen der Staaten, mit den Grundfragen der Geschichte der Rechtsphilosophie und dem Rechtsdenken der Gegenwart vertraut ist, der sowohl als Theoretiker und Rechtslehrer wie auch als Praktiker auf mannigfaltige Weise wirkt. Nur wer solch eine weite Lebensstrecke zurückgelegt, wer so viel Erfahrung gesammelt hat wie Verdroß, vermag jenen hohen Stand weiser. Abgeklärtheit einzunehmen, von dem aus das besprochene Buch geschrieben worden sein muß.

Das Werk scheint den Zweck zu verfolgen, die Menschenwürde (Dignitas humana) als das Herz des Rechts, als die Mitte der Rechtswelt, als den eigentlichen Sinn der Rechts- und Völkerrechtsordnung und jeder einzelnen positiven Staatsordnung auszuweisen Der Autor legt den Zusammenhang zwischen den Menschenrechten und dem Gemeinwohl, dem Bonum commune, frei, dąs etwas wesentlich anderes ist als die „Staatsräson” (diese wälzt sich — per defi- nitionem — über den einzelnen hinweg und walzt Naturrecht, Sittenordnung, Gewissenspflicht nieder; jenes versagt es dem Staat, daß er von seinen Bürgern naturrechtswidrige und sittenwidrige Handlungen oder Unterlassungen fordert!). Der Zusammenhang zwischen Gemeinwohl und Menschenrechten ergibt sich daraus, daß beide Werte, Güter, Maßstäbe sind, die die Macht des Staates begrenzen, einschränken, was wiederum nur dann denkbar ist, wenn man das Walten einer höheren und umfassenderen, einer umgreifenden Ordnung erkennt, in die jede gesetzte Staatsordnung und die gesetzte Völkerrechtsordnung eingebettet sind. Die Griechen haben die Ansätze zur Idee der Menschenrechte gelegt, doch konnten sie sie nicht in den Bereich der politischen Wirklichkeit überführen; dies ist nicht einmal der Stoa gelungen, weder der griechischen noch der römischen (Cicero). Aristoteles lehrt, daß die Existenz des Menschen mit dessen Leben im Staat zusammenfällt, obwohl er eingesteht, daß die Natur des Menschen den Staat gewissermaßen einfriedet. Die Stoa begreift den Menschen nicht nur als Bürger eines Staates, als polites. sondern überdies als ein Glied des Kosmos, als polites tu kosmu. ohne aus dieser Erkenntnis politische Konsequenzen zu ziehen. Erst das Christentum vollzieht den entschei-der Menschenrechte in den Bezirken der politischen Realität, weil es der Vielzahl von Staaten die real existente Einheit der Kirche gegenüberstellt. Die Spannung, die zwischen Kirche und Staat waltet, ist nichts Negatives; im Gegenteil, sie ergibt die Menschenrechte, die gleichsam der Ueberhäng, die Differenz sind, die der Staat niemals einzuholen vermag, weil es sich hier um einen Teil der menschlichen Existenz handelt, der in den Bereich der Kirche, der Sittenordnung und des nicht positivierten Naturrechts hineinragt!

Der Gedanke der Menschenrechte ist ein europäisch-christliches Gut, ein Gut, das sich anzueignen heute die ganze Welt im Begriffe steht: So werden auf stille und unhörbare Weise alle Völker der Erde europäisiert und christianisiert. Diese Bewegung bannt Verdroß auf die Seiten seines Werkes.

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