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Wenn der Wassermann Gott verdrängt

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Wenn Gott verdrängt wird, rücken andere Dinge an seine Stelle, die den Wunsch nach Erlösung befriedigen sollen.

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Wenn Gott verdrängt wird, rücken andere Dinge an seine Stelle, die den Wunsch nach Erlösung befriedigen sollen.

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Heilsphantasien und Fortschrittswahn. Über die Wiederkehr des verdrängten Gottes in anderer Gestalt”. So lautete der Titel des Vortrags, den die evangelische Theologin Susanne Heine beim 2. Wiener Kulturkongreß hielt. Heine diagnostizierte eine Reihe von Verdrängungsmechanismen, die von der Moderne hervorgebracht wurden und noch immer werden. Sie nannte zunächst die beiden großen Fortschrittsideen der Moderne: zum einen den mit der Aufklärung einsetzenden Glauben an die Vernunft, zum anderen den blinden Glauben an die Natur, die ihr Werk von sich aus zur Vollendung bringe, wie es etwa in der „New Age”-Bewe-gung, aber auch bei C. G. Jung und im sogenannten „rechten” Flügel des Feminismus präsent ist. Heine diagnostiziert zwar, will aber nicht moralisieren. Nichts, so die Theologin, „spricht dagegen, Verantwortung zu üben, um unbefriedigende Verhältnisse zu verbessern, und der Natur - endlich - auch ein eigenes Recht einzuräumen.” Problematisch sei aber, „daß beide Varianten der Fortschrittsidee von einem monistischen Absolutheitsansprach ausgehen (...), der dem keineswegs nachsteht, was der Theologie und ihrem Gott vorgeworfen wird. Vom menschlichen Handeln oder von der Natur anzunehmen, in ihnen wirke faktisch eine unbestechliche Teleologie, unterscheidet sich zwar inhaltlich, aber nicht in der Denkfigur von der Annahme eines faktisch wirkenden Gottes im Sinne schlechter Metaphysik.”

An die Stelle des verdrängten Gottes rücken bis heute ganz verschiedene Varianten von Erlösungserwartungen, wie Heine deutlich machte: Die Pädagogin Maria Montessori erwartete etwa die Erlösung vom Kind, andere erwarten sie heute vom Wesen der Frau, vom Zeitalter des Wassermanns oder auch von der digitalen Kommunikation. Der Computer, schrieb etwa der bekannte Medientheoretiker Marshall McLuhan, werde die Welt als „global village” in beständigem Frieden einigen.

Die Zukunft von Religion und Glauben werde nach Auffassung der evangelischen Theologin einerseits davon abhängen, „ob Theologie und Glaubensgemeinschaften bereit sind, auf die kritischen Zweifel, die Menschen ernsthaft bewegen, ebenso ernsthaft einzugehen”. Andererseits hänge die künftige Lebensgestaltung auch davon ab, inwieweit „die sogenannten Säkularisten bereit sind, einen Diskurs über Gott und religiöse Fragen zuzulassen, mehr noch, sich daran vorurteilsfrei zu beteiligen”.

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