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Die großen Probleme hätte man vor zehn Jahren lösen müssen

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Ist Österreich schwer zu regieren - oder tut sich nur die derzeitige Koalitionsregierung dabei schwer?

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Ist Österreich schwer zu regieren - oder tut sich nur die derzeitige Koalitionsregierung dabei schwer?

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Die großen Probleme, die nun von der Regierung zu lösen sind, hätten zum großen Teil schon vor zehn Jahren gelöst werden sollen. Zu erinnern ist an die Budgetsanierung, die Finanzierung des Gesundheitswesens, des Bildungswesens, des Sozialversicherungswesens und so fort. Man kann sagen: Osterreich ist schwer zu regieren. Aber man kann auch sagen, Österreich ist leicht zu regieren, wenn noch immer dieselbe Koalitionsregierung dieselben Probleme zu lösen hat. In der Ära Kreis-ky wurde bewußt, wie wenig eine Koalition mit nur einfacher Mehrheit machen kann. Wir können keine energische Regierung mehr haben, weil wir keine einheitliche Regierung mehr haben können. Das Proportionalwahlsystem läßt eine Alleinregierung mit absoluter Mehrheit nicht zu.

Der Zwang zur Koalition ist mit dem Zwang zum Konsens gekoppelt. Die Verfassung will harmonisches Zusammenwirken und Integration durch Kooperation. Tatsächlich müssen mehrere politische Kräfte sich zusammenstreiten, damit das Regierungssystem funktionsfähig ist. Die Polykratie in Form von über einem Dutzend Bundesministern und dem Bundespräsidenten, Einstimmigkeit in der Bundesregierung, Vorschlagsund Gegenzeichnungsbindung aller Akte des Bundespräsidenten ... funktioniert mühsam und kompliziert. Wer, wie etwa Herbert Dachs, gegen hochgradig übersteuerte, überbremste und überkontrollierte Politiksysteme auf Landesebene ist, der muß erst recht für die Reform des Regierungssystems auf Bundesebene sein. Denn hier müssen in den Entscheidungs-prozeß unterschiedlichste Positionen eingebunden werden, er ist in der Regel laut, langwierig und langweilig.

In der Regel ist es unmöglich, für die ausgehandelten Kompromisse klare Verantwortlichkeiten deutlich zu machen, entschiedene Kehrtwendungen bilden auch bei notwendiger Reforrrjpolitik die Ausnahme. Die Regierungssysteme auf Bundes- und Landesebene bringen eben die Gewaltenteilung auf die Spitze. Aber gerade dort, wo es rasch und energisch zugehen soll, ist alles auf Kooperation, Kompromiß und wechselseitige Kontrolle ausgerichtet. Nur durch den Zwang der Verhältnisse geht es vorwärts.

Die Mischung von präsidentiellen Elementen, von Ressort-, Kollegial-und Kanzlerprinzip funktioniert nur gut bei einer politisch homogenen Zusammensetzung des vielgliedrigen Systems der obersten Vollziehung. Das war aber nur ausnahmsweise der Fall, wenn alle in Frage kommenden Amtsträger Vertrauensleute des

Kanzlers waren. In Folge des Proporzwahlsystems kam es zur Zersplitterung des Parteiensystems. Das politische Leben ist spannender geworden, und man wartet in der Öffentlichkeit auf das Wechseln von Allianzen. Dazu kann es leicht kommen. Aber daß gut vorberatene und vorbereitete Konzepte mit Konsequenzen verwirklicht werden, ist schwieriger. Statt konzertierter Aktion kann es leicht zu Frustration und Demotivation kommen. Der Zwang zum Konsens verführt zur Flucht in den Dissens. Personelle Veränderungen sind in der Politik leicht. Sachliche Veränderungen aber schwer. Wenn man aber Energie und Konsequenz beim Regieren vermißt, vermißt man sie bei der Demokratie.

Man kann freilich sagen, daß die Vielherrschaft auf der Spitze etwas Gutes hat und demokratischer ist als anderes. Die komplizierte Organisation der Vollziehung treibt die Suche nach dem Ausgleich auf die Spitze. Sie widerspiegelt die Meinungs- und Willensbildung der Demokratie. Aber wenn wir dabei bleiben wollen, müßten die Beteiligten mehr und bessere Gesprächskultur zeigen. Sie müßten mehr nach innen und dürften nicht so sehr nach außen gehen. Vertrauen, nicht Mißtrauen ist die Basis des Erfolges. Auch wenn man sparen muß. Die Umstände und die Verfassung machen es der Regierung nicht leicht. Aber die meisten ihrer Mitglieder haben die meisten ihrer Probleme schon vor Jahren gewußt.

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