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Die wachsende NATO-Feindschaft

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Schweden nahezu ohne Proteste akzeptiert wird, ruft in Norwegen erbitterte Kritik hervor. Zwischen dem Herbst 1963 und dem Herbst 1964 erhöhte sich das Preisniveau in Norwegen um 8% ; bis zum Herbst 1965 wird es noch einmal um 6 bis 7% gestiegen sein. Die Lohnerhöhungen für die Arbeiterschaft in diesen zwei Jahren reichten nicht aus, um die Preissteigerungen zu kompensieren, von einer Standarderhöhung gar nicht zu reden. Auch das relativ gute Lohnabkommen im laufenden Jahr konnte die tiefverwurzelte Unzufriedenheit innerhalb der Arbeiterschaft nicht beseitigen. Besonders die Angestellten und die jugendlichen Arbeiter wenden der Partei den Rücken.

Zum Auffangreservoir der Unzufriedenen wird in zunehmendem Ausmaß die geschickt arbeitende Partei der Konservativen, die sich auch auf eine weit überlegene Presse stützen kann, und die auch in der Wirtschaft Norwegens wichtige Kraftquellen hat.

Diese Wirtschaft hat sich in der Nachkriegszeit beispiellos gut entwickelt. Die norwegische Handelsschiffahrt erlebte einen phantastischen Aufschwung. 1945 nahezu zerschlagen und nur 2,7 Millionen BRT verschlissenen Schiffsraumes umfassend, konnte sie zu Beginn 1965 14,5 Millionen BRT leistungsfähigster Tonnage mustern, 7,7 Mil-

lionen BRT davon bestanden aus modernen Tankschiffen. Der Außenhandel Norwegens ist — im Verhältnis zur Bevölkerungszahl gesehen — umfangreicher als der der meisten anderen Industrieländer. Im Vorjahr erreichten Einfuhr und Ausfuhr zusammen 23,36 Mrd. nkr, das entspricht pro Einwohner einem Betrag von 6320 nkr oder 22.700 Schilling. Die Gesamtumsätze des bundesdeutschen Außenhandels erreichten im selben Jahr nur etwas über 13.000 Schilling pro Einwohner! In

Großbritannien errechnet man auf diese Weise 8800 Schilling und in den USA unter 6500 Schilling.

Diese leistungsfähige Wirtschaft verlangt auf dem Gebiete der Politik ein Mitbestimmungsrecht; sie steht den Industriälisierungsplänen der Regierung kritisch gegenüber und hat auch bei ihrer Kapitalversorgung ziemliche Schwierigkeiten. Der starke Ausbau des Wirtschaftslebens und besonders der Flotte konnte nur durch einen umfassenden Kapitalimport finanziert werden.

Von der Linken her wird Ger-hardsen von der kleinen, doch sehr aktiven Sozialistischen Volkspartei angegriffen, die eine Beendigung der NATO-Mitgliedschaft Norwegens verlangt, die nach Meinung der Linken Norwegen in einen schweren Konflikt mit der Sowjetunion bringen kann. Diese NATO-Feindschaft gewinnt unverkennbar an Boden, und es muß damit gerechnet werden, daß die SP der Arbeiterpartei, getragen von dieser Stimmung, zwei Mandate abnimmt. Und damit schon wäre die sozialdemor kratische Fraktion im Stortinget schwächer als die gesammelte bürgerliche Opposition, die sich sicher einen konservativen Staatsminister einigen würde.

Die Arbeiterpartei hat nun in letzter Stunde ein umfangreiches Reformprogramm zur Diskussion gestellt. Sie verlangt eine Dienstpension nach schwedischem Muster, einen verstärkten Wohnungsbau, die Fünftagewoche ab 1970, bessere Ausbildungsmöglichkeiten und eine umfassende Wirtschaftshilfe für Notstandsgebiete. Doch all das, oder nahezu das, verlangen alle Parteien, und so ermangelt auch diesem Vorschlag die Zugkraft einer echten Alternative.

Im September werden in Norwegen mindestens sieben Parteien um die Gunst der Wähler werben. Die Arbeiterpartei wird es sehr schwer haben in diesem Wahlkampf — nicht ohne eigene Schuld!

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