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Erwachen aus dem Wohlstands-Traum

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Es besteht kein Zweifel mehr daran, daß sich das einstmals so reiche und vom Schicksal so begünstigte Schweden auf dem Wege des wirtschaftlichen, politischen, sozialen und - jeder Tag kann neue Beweise dafür liefern - auch des moralischen Niederganges befindet. Eine erstaunte Umwelt, die sich daran gewöhnt hatte, in diesem Land den Spitzenreiter auf dem Weg zu einer von sozialen Kümmernissen und politi-sehen Zerwürfnissen freien Welt zu sehen (und dabei die sich aufdrängenden Warnzeichen einer herannahenden Krise geflissentlich übersehen hatte), beginnt sich nun zu fragen, wieso das alles so kommen konnte.

Wer die Ursachen der Krise zumin-destens in ihren großen Umrissen erkennen will, muß wissen, welche Fakten es waren, die Schweden zu seinem Wohlstand verholfen haben. Da ist -um mit den Rohstoffen zu beginnen -vor allem einmal der Reichtum an Eisenerz und an Nichteisenmetallen zu nennen, an Holz, an leicht zugänglichen Wasserkräften und - in Südschweden -das Vorhandensein einer hocheffektiven Landwirtschaft. Durch Jahrhunderte war Schweden der größte Erz-und Stahlproduzent Europas.

Nach Ende des Zweiten Weltkrieges war man - von der Schweiz abgesehen -das einzige Land mit einer völlig intakten Industrie, einer geschickten und voll einsatzfähigen Industriearbeiterschaft und einer Handelsflotte, deren Kriegsverluste durch eine hocheffektive Werftenindustrie rasch ersetzt werden konnte. Es gab kaum ein Land in der Welt, das den Weg in die Nachkriegszeit mit besseren Vorbedingungen antreten konnte als Schweden.

Dazu kamen drei Dinge, deren Bedeutung gar nicht hoch genug eingeschätzt werden kann: das Heraushalten aus kriegerischen Verwicklungen seit Beginn des 19. Jahrhunderts, der bereits 1938 festgelegte Burgfrieden zwischen Arbeiterschaft und den Arbeitgebern (Saltsjöbad-Abkommen), und die politische Stabilität im Lande, deren überzeugendster Ausdruck die lange ungebrochene Regierungszeit der sozialdemokratischen Arbeiterpartei war.

Alles das ist im Zuge der wirtschaftlichen, technischen und politischen Entwicklung in der übrigen Welt - und zum Teil auch durch eigene Schuld und Versäumnisse - verlorengegangen.

Es würde zu weit führen, hier die Entwicklung von Stufe zu Stufe zu verfolgen. Hier sei nur darauf verwiesen, welch große Rolle der ständig sich steigernde Verbrauch der Energiequelle •Erdöl spielte. Von den USA abgesehen, ist Schweden heute das Land mit dem größten Ölverbrauch pro Kopf der Bevölkerung in der Welt - trotz des immer noch bedeutenden Zuganges an billigen Wasserkräften.

Der einst so blühende Erzbergbau ist durch die Ausbeutung riesiger Erzlager in Südamerika, Afrika ufld Australien in einen verlustebringenden Sektor verwandelt worden. Die Schiffbau-Industrie, die früher Milliardengewinne einbrachte, ist durch die japanische und südkoreanische Industrie im wahrsten Sinne des Wortes „ausgebootet” worden.

Die überdimensionierte Holzverwertungsindustrie schließlich führt einen zermürbenden Konkurrenzkampf um die letzten Holzreserven des Landes und sieht sich bereits gezwungen, diesen wertvollen Rohstoff aus Finnland und der Sowjetunion einzuführen.

Getäuscht und verwöhnt durch die lange Periode des Aufstieges haben sich die Arbeitnehmer in der Privatwirtschaft und in den öffentlichen Diensten durch eine lange Reihe von Jahren völlig unrealistische Lohnerhöhungen erkämpft. Diese aber brachten die Inflati-onsspirale in eine immer raschere Bewegung, ohne daß man zu erkennen vermochte, daß dadurch die wirtschaftliche Stabilität und der eigene Wohlstand selbst in die Fransen gehen mußte.

Spätestens zu Beginn der siebziger Jahre wäre eine Erkenntnis des noch Erreichbaren und ein Beschränken auf das real Mögliche fällig gewesen. Doch man lebte - und zwar auf allen Seiten -weiter in seiner Traumwelt der ständig sich steigernden Wohlfahrt.

Zur gleichen Zeit geriet Schweden auch politisch in eine sehr labile Periode: 1973 verlor die Arbeiterpartei ihre parlamentarische Mehrheit und dadurch die Fähigkeit selbständig zu regieren; 1976 kam es zur Bildung der ersten bürgerlichen Regierung, die bereits zwei Jahre später wegen innerer Streitigkeiten auseinanderfiel.

Es folgte eine äußerst schwache Minderheitsregierung der Liberalen und im Herbst 1979 die zweite bürgerliche Koalitionsregierung, die sich nur auf ein Mandat Mehrheit im Parlament stützen kann und ständig vom Auseinanderfallen bedroht ist.

Die Passivität der Regierung Fälldin gegenüber dem nun zu Ende gegangenen Großkonflikt auf dem Arbeitsmarkt (den schwersten, den Schweden jemals erlebt hat), muß zum größten Teil auf die Unsicherheit der von verschiedenen Kräften hin- und hergetriebenen Regierungsführung zurückgeführt werden.

Dazu kommt noch, daß dieser Großkonflikt gezeigt hat, daß von dem vor mehr als vierzig Jahren abgeschlossenen Burgfrieden zwischen Arbeiterschaft und den Arbeitgebern keine Spur mehr vorhanden ist.. .

Nun muß das schwedische Volk die Unvermeidbarkeit eines Lebens unter kühleren Sternen zur Kenntnis nehmen, eines Lebens ohne weitere große soziale Reformen, mit sich vermindernden Sozialleistungen, Zwangssparmaßnahmen und bisher nicht gekannten sozialen und politischen Kämpfen. Die Grundlagen des vielgerühmten „schwedischen Modells” existieren nicht mehr: Die Sonderrolle in der Welt der industrialisierten Länder ist ausgespielt.

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