Polen

Flugabwehrrakete schlägt in Polen ein: Zurückhaltung als Antwort

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Nach dem Einschlag einer Abwehrrakete auf polnischem Staatsgebiet wurde schnell spekuliert, ob nun der NATO-Bündnisfall in Kraft tritt. Dass die Ukraine Interesse daran hätte, ist verständlich. Polen dagegen würde zum Frontstaat, was mit aller Macht verhindert werden soll.

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Nach dem Einschlag einer Abwehrrakete auf polnischem Staatsgebiet wurde schnell spekuliert, ob nun der NATO-Bündnisfall in Kraft tritt. Dass die Ukraine Interesse daran hätte, ist verständlich. Polen dagegen würde zum Frontstaat, was mit aller Macht verhindert werden soll.

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Wenn der tragische Vorfall, bei dem am 15. November eine mutmaßlich von der Ukraine abgefeuerte Flugabwehrrakete unglücklich in Polens Grenzort Przewodow einschlug und zwei polnische Männer tötete, eines lehrt, dann: die Notwendigkeit von Zurückhaltung. Denn wäre dieselbe Rakete von Russland gezielt abgefeuert worden, wäre dies ein Anlass für einen Bündnisfall gemäß Artikel fünf des NATO-Vertrags.

Laut diesem ist ein Angriff auf ein NATO-Mitgliedsland zugleich ein Angriff auf alle NATO-Staaten – und hätte weitgehende Konsequenzen. Vor allem, wenn die Politik, statt auf Besonnenheit zu setzen, auf einen voreingestellten Autopiloten schalten würde.

Moderate Bezichtigung

Letzteres, ein antirussischer Reflex, war in Polen in den ersten Stunden nach dem Vorfall zu beobachten. Denn die seit Kriegsbeginn dezidiert und mitunter unhinterfragt antirussische polnische Regierung bezichtigte im Fall Przewodow zunächst, wenn auch moderat, Russland. Polens Außenministerium bestellte noch in der Nacht vom vergangenen Mittwoch kurzerhand den russischen Botschafter in Warschau ein, in der überreichten Note verlangte Warschau Aufklärung vom Kreml. Zuvor hatte das Außenministerium eine Mitteilung vom Einschlag einer „russischen Bombe“ veröffentlicht, ohne Hinweis auf den Urheber.

Erst Stunden später glättete Präsident Andrzej Duda die Wogen: Man wisse nicht, wer die Rakete abgeschossen habe, auch wenn sie wohl eine russische gewesen sei. Erst Stunden später erklärte Duda dann vor der Presse: „Es weist nichts darauf hin, dass dies ein absichtlicher Angriff auf Polen war. Die Tatsache, dass auf unserem Territorium eine Rakete eingeschlagen ist, war keine beabsichtigte Handlung.“

Durch die massiven russischen Raketenangriffe vom 15. November, die auch auf Infrastruktur im 75 Kilometer von Przewodow gelegenen Lemberg (Lviv) gerichtet waren, habe sich „die Ukraine auch dadurch verteidigt, dass sie Raketen abschoss, die russische Raketen vernichten sollten“.

Verantwortlich aber sei prinzipiell Russland, das die Ukraine zur Verteidigung zwinge. Damit war Polens Reaktion schnell auf beruhigenden US- und NATO-Kurs geschwenkt. Noch kurz zuvor hatte Polens Führung bereits die Aufrufung von Artikel vier des NATO-Vertrags erwogen. Laut diesem Artikel werden engere Konsultationen aller NATO-Mitglieder initiiert, wenn die Sicherheit eines der Mitgliedsstaaten bedroht ist. Davon ist inzwischen nicht mehr die Rede. Wohl aber davon, dass keine Raketenabwehr der Welt in der Lage sei, das ganze Staatsterritorium lückenlos zu schützen, wie Polens Militärführung mitteilt.

In ganz Polen und speziell im Osten des Landes wurden bereits vor dem Unglück etliche Radar- und Raketenabwehrsysteme installiert, etwa die Aufklärungsund Beobachtungsflugzeuge E-3 Sentry oder die Radare des aus den USA stammenden Patriot-Raketenabwehrsystems in der Nähe der ostpolnischen Stadt Rzeszow (etwa 100 Kilometer von der ukrainischen Grenze entfernt). Das Generalkommando der polnischen Armee räumte aber ein: „Die Aufgabe dieser Systeme ist u. a. die Verteidigung kritischer Infrastruktur“, und eben nicht des ganzen Staatsgebiets.

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