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Streit um der Ideologen Barte?

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Zu dieser grundsätzlichen Erkenntnis über die notwendige Anpassung programmatischer Richtlinien an die gesellschaftliche Entwicklung kam noch das weit verbreitete Unbehagen über das Gespräch, das in Österreich und jenseits der österreichischen Grenzen zwischen Christentum und Marxismus, zwischen Kirche und Sozialismus in Gang gekommen ist: „Täuschen wir uns nicht“, warnte Dr. Maleta, „seitens des Marxismus handelt es sich bei den heute so modernen Dialogen nicht immer um eine echte Wahrheitsfindung, sondern um einen taktischen Schachzug zur Gewinnung etlicher Wählerstimmen und Mandate, vielleicht sogar schon um den strategischen Versuch, die Enzyklika für einen Generalangriff zur Aufsplitterung der sich zur christlichen Demokratie bekennenden politischen Parteien zu mißbrauchen.“ Der ÖAAB, dessen Pro-ponenten selbst häufig genug des „christlichen Marxismus“, „gefährliche“ Linksabweichung“, ja „kommunistischer Infiltration“ bezichtigt wurden, fürchtet offensichtlich um seinen Monopolanspruch auf die „Interessenvertretung christlicher Arbeitnehmer“. Daß er daher vor dem politischen Mißbrauch des vielzitierten „Dialogs“, vor verwaschenen Begriffen und verschwommenen Fronten warnt, ist verständlich und außerdem sein gutes Recht. Im übrigen geben ehrliche sozialistische Politiker durchaus zu, daß taktische und strategische Überlegungen in den Gesprächen mit der Kirche eine nicht unerhebliche Rolle spielen. Dennoch wäre es verfehlt, Kommentare zu Enzykliken ebenso wie den Abbau ideologiischer Frontlinien auf reine Taktik einerseits, auf politischen Unverstand anderseits zu reduzieren: einmal in Bewegung gekommene Prozesse — und der Wandel, der sich in der Kirche in Fragen der Politik uod der Gesellschaft vollzogen hat, ist ein solcher Prozeß — lassen sich nicht rückgängig machen, auch auf die Gefahr hin, daß die auslösenden Motive nicht immer so rein waren, wie sie sich der Moraltheologe wünscht, auch auf die Gefahr bin, daß es in einer Zeit des Übergangs zu zeitweiligen Mißverständnissen, zu Begriffsverwirrungen und Prestigeverlusten kommt.

Daß bei diesem Prozeß diejenigen, die in der vordersten Linie für den Abbau der alten Kampflinien eintreten, am ehesten ins Schußfeld von Links und Rechts geraten, ist nur natürlich. Beliebte Zielscheibe ist nach wie vor der sogenannte „Limkskathoiizismus“, ein Begriff, der mindestens ebenso verschwommen ist wie sämtliche Begirdffsver-wirrungen, die man den „Linkskatholiken“ so gern vorwirft. Was manche der heftigen Ausfälle motiviert, scheint die mangelnde Bereitschaft zur Anerkennung nicht nur eines politischen, sondern auch eines innerkatholischen Pluralismus zu sein. Die Zeit der Monopole ist vorbei — sie war es de facto bereits in der Ersten Republik. Die katholische Sozialdoktrin hat im Grund nur nachvöllzogen, was Katholiken in der Politik damals bereits praktizierten.

Die Notwendigkeit, auf allen Seiten traditionelle Positionen und Begriffe zu revidieren, wird auch eine neue Terminologie erzwingen — auch in der politischen Mitte, als die sich der ÖAAB verstanden wissen will: Eine Terminologie, die aufhört, direkt oder indirekt im Ideengut des klassischen Liberalismus mit seinen Gegensätzen zwischen Individuum und Kollektiv, zwischen Einzelnem und Gesellschaft, zwischen Bürgerrecht und Staatsommipotenz Anleihen zu machen, und beginnt, die neuen Erkenntnisse der Sozialwissenschaf-ten zu berücksichtigen. Was die letzten Enzykliken Johannes XXIII. und Pauls VI. auch für Nichtkatholiken so attraktiv gemacht hat, war neben dem neuen Geist auch die neue Terminologie, das Abrücken von der rein theologisch-philosophischen Argumentation und die Berücksichtigung der Gesellschaftswissenschaften. Daß bei dieser Spraohärnderuog auch die Marxsehe Terminologie in manchen Punkten Eingang fand, mag zwar für katholische Ohren ungewohnt klingen, stempelt aber weder den Papst noch die führenden katholischen GesellschaStstheoretiker zu „Sozialisten“. Man wird sich dar-am gewöhnen müssen, daß Marx nicht nur der Inspirator einer politischen Bewegung wan, die in vielen europäischen Ländern die Geschichte des ausgehenden 19. und des 20. Jahrhunderts entscheidend mdtgestaltet hat, sondern ein wichtiger Gesellschaftistheoretiker, der der Nachwelt außer einer Reihe frappanter Fehldiagnosen auch bleibende Erkenntnisse über die Gesellschaft und die in ihr wirkenden Kräfte hinterlassen hat.

Die Dinge sind in Fluß geraten, auch in Österreich, das traditionellerweise hinter den Entwicklungen herhinkt. Auch wenn viele in diesem Prozeß den großen Dammbruch und die totale ideologische Verwirrung befürchten, wird die Entwicklung an Österreichs Grenzen nicht Halt machen. Pragmatiker mögen Programmdiskussionen dabei abschätzig als intellektuelles Glasperlenspiel oder Streit um der Ideologen Barte abtun. — Wer in der Politik mehr sieht als eine Frage der Ruchenver-teilung wird jede Diskussion um Grundsätze, an denen sich politisches Handeln orientiert, begrüßen.

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