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Ein Gong für den Vater

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Ein heller unmöblierter Raum, in dem Instrumente verteilt sind -Gongs, Xylophone, Glocken, ein Monochord. Welches Instrument man auswählt, hängt von der Stimmung ab - laut oder leise, ein langsam verklingendes oder eines, das kurze scharfe Töne von sich gibt. „Erfahren Sie, wie es ist, wenn ihnen jemand auf Ihre Klänge antwortet", sagt Franz Kehl.

dieFurche: Sie sind Vorsitzender des Berufsverbandes der Musiktherapeuten, in dem sie ungefähr 100 von wesentlich mehr tätigen Therapeuten vertreten. Wie wird man Musiktherapeut?

Franz Kehl: Das Kurzstudium an der Hochschule für Musik beendet ein Diplom und die Titelvergabe eines „akademisch geprüften Musiktherapeuten". Zum Studium gehören psychologische und psychiatrische Fächer und klinische Praktika. Wiens Ausbildung ist in Europa einzigartig durch den Einschluß von Einzel- und Gruppenlehrmusiktherapie. Wien und London waren die ersten Ausbildungszentren. Wiener Absolventen sind international als Lehrkräfte und Gründer neuer Schulen - zum Beispiel in Belgien - tätig.

dieFurche: Seit wann gibt es eine Musiktherapieausbildung in Wien?

Kehl: 1959 begann sie als Sonderlehrgang. Die Ausbildung wurde 1970 wesentlich erweitert und 1993 in ein Kurzstudium mit Diplomabschluß umgewandelt.

dieFurche: Wo arbeiten die Musiktherapeuten Österreichs?

Kehl: Ungefähr 44 Prozent im Behindertenbereich - 70 Prozent davon mit verhaitensautläiligen Kindern und Jugendlichen, 38 Prozent im psychiatrischen Bereich - bei Menschen mit Schizophrenie, schweren Persönlichkeitsstörungen und Depressionen, sieben Prozent in der Neurorehabili-tation, fünf Prozent mit Menschen, die an psychosomatische^! Erkrankungen leiden und weitere fünf Prozent im Strafvollzug, in der Sucht-und Krebstherapie. Ein Fünftel sind zusätzlich zu ihrer Anstellung auch in eigener Praxis tätig.

dieFurche: Es gibt zwar die Berufsausbildung an einer staatlichen Hochschule, nicht aber den staatlich anerkannten Berufstitel

kehl: Ja, ein Gesetz ist seit Jahren in Vorbereitung und wartet auf Behandlung.

dieFurche: Was bringt die staatliche Anerkennung?

Kehl: Einen Schutz des Berufsbildes und die Abgrenzung zu anderen Therapieformen.

dieFurche: Gibt es Angebote der Krankenkassen zur finanziellen Unterstützung der Behandlung?

kehl: Nein. Natürlich könnte die Musiktherapie beispielsweise psychosomatische Leiden mildern, jahrelange symptomatische Behandlungen abkürzen - etwa wegen Magengeschwüren. Aber zunächst würde die Aufnahme der alternativen Heilmethoden in den allgemeinen Krankenkassenschutz eine Verteuerung bedeuten, vor der man zurückschreckt. Langfristig gesehen wäre aber die Einbeziehung der Musiktherapie natürlich eine Verbilligung.

dieFurchk Was ist charakteristisch fiir die Wiener Schule der Musiktherapie?

Kehl: Die Wiener Schule arbeitet beziehungsorien-tiert. Sie wurde wesentlich mitgestaltet von Alfred Schmölz, der kürzlich verstorben ist. Die musikalische Interaktion ist Kommunikationsmittel zwischen Therapeut und Klient, sie ist ein umwegloser Gefühlsausdruck. Die Therapie ist auch Ort der Sammlung, des Zeit-für-sich-Habens.

dieFurche: Ist sie da Ersatz für religiöse Rituale?

Kehl: Vielleicht auch. Wenn ein Klient in die Musiktherapie Vertrauen gefaßt hat, wird er die Erfahrung machen: „Es tut mir gut."

dieFurche: Wie arbeiten Sie?

Kehl: Es gibt rezeptive und aktive Methoden: also Musikhören oder überwiegend - Musik machen. Wir nennen das „instrumentales Partnerspiel". Manchmal gehen wir von Gesprächen aus und versuchen, die Probleme, die der Patient mitbringt, in Rollenspielen in Musik umzusetzen.

dieFurche: Wer entscheidet sich für Musiktherapie?

Kehl: Ich beobachte, daß sich mehr Leute zuerst für Gesprächstherapie entscheiden. Das liegt wohl daran, daß die meisten Menschen Musiktherapie nicht kennen. Aber auch Psychotherapeuten beobachten immer häufiger, daß sie mit dem Gespräch allein oft an tieferliegende Probleme nicht herankommen und kreative Methoden einsetzen möchten.

dieFurche: Was kann die Musiktherapie, was andere Therapien nicht können?

Kehl: Sie kann unmittelbar den Menschen erreichen, wo sprachlicher Ausdruck nicht, oder nicht mehr, oder noch nicht zur Verfügung steht. Man kann sich fotoSuchy nicht verstecken. Man kann Beziehungsprobleme unmittelbar auf die musikalische Handlungsebene übertragen. Zwischen mir und dem Patienten spielt sich alles ab, was sich in der Beziehung abspielt. Man kann Abgrenzung lernen, streiten und provozieren.

Wenn sich zum Beispiel ein Klient im musikalischen Dialog ganz zurückzieht, hat er Angst vor Beziehungen. Vieles wird so unmittelbar erfahren, daß man es nicht erläutern muß. Allein die Tatsache, daß jemand einmal in der Beziehung „einen lauten Ton" gespielt hat, kann der Erfolg sein. Die Therapie hilft auch, sich Klarheit zu verschaffen.

Eine wesentliche Erfahrung ist jene des „Gemeint-Seins", die Menschen machen können, deren hauptsächliche Erfahrung ein „Nichtgemeint-Sein" war. Einerseits können sich Menschen, die sich in ihrem Leben abgeschoben fühlten, direkt angesprochen und „gemeint" fühlen. Andererseits kann im musikalischen Dialog ein „Mißverständnis", das sich aus einander widersprechenden Ebenen des Gefühls und der Worte eines Sprechers ergibt, aufgeklärt werden. Der Sprecher muß zu seiner Gefühlsebene stehen, der Angesprochene kann „Verwirrung" klären.

dieFurche: Ist Beziehung das Hauptthema?

Kehl: Ja. Sei es, daß man Angst vor Beziehungen hat oder in einer schlechten Beziehung lebt, in der man sich zurückgesetzt fühlt. Die Therapie zeigt - in Rollenspielen - auf: Wie könnte ich mich anders verhalten?

dieFurche: Gibt es auch Paartherapie?

Kehl: Ja, in Deutschland probiert eine Kollegin auch Familientherapie mit Musiktherapie. Schon an der Auswahl der Instrumente sieht man das Rollenverständnis der Familienmitglieder — etwa, ein Gong für den Vater.

Das Gespräch führe Irene Suchy.

Franz Kehl betreut seine Klienten im IPGP-Institut für Psychotherapie-Ganzheitsmedizin und Persönlichkeitsentwicklung. 1180 Wien, Staudgasse 7/1, Tel (0222) 40 65 715. Eine Informationsstunde kostet 500 Schilling.

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