"Dort hol ich das Salz von der Nachbarin"

19451960198020002020

INTERVIEW Was das Landleben für junge Menschen bereithält, und was die Politiker tun können, um der Landflucht der Jugend gegenzusteuern, erklärt die steirische Landesjugendsprecherin Bettina Hofer.

19451960198020002020

INTERVIEW Was das Landleben für junge Menschen bereithält, und was die Politiker tun können, um der Landflucht der Jugend gegenzusteuern, erklärt die steirische Landesjugendsprecherin Bettina Hofer.

Werbung
Werbung
Werbung

Sie kennt das Stadt-und das Landleben. Landesjugendsprecherin Bettina Hofer studierte in Graz Elektrotechnik, stammt aus Wenigzell in der nördlichen Oststeiermark und möchte nach ihrem Zweitstudium in die Region zurückziehen.

DIE FURCHE: Wie war es für Sie, mit 18 Jahren nach Graz zu kommen?

Bettina Hofer: Plötzlich war alles nahe und greifbar, ich war auf kein Auto mehr angewiesen. Da hat sich ein Freiheitsgefühl eingestellt. Ich konnte plötzlich jederzeit ins Kino oder zum Facharzt gehen. Manchmal kann die Anonymität etwas Schönes sein. Andererseits ärgere ich mich, wenn ich keinen Parkplatz finde oder etwas daheim in der Oststeiermark vergessen habe.

DIE FURCHE: Warum wollen Sie nach dem Studium zurück in die Oststeiermark?

Hofer: Wenn mir dort das Salz ausgeht, gehe ich zur Nachbarin und hol es mir. Ich habe Familie und Freundschaften vor Ort. Auf dem Land gibt es ein besonderes Gefühl der Zusammengehörigkeit. Die Job-Möglichkeiten für mein Studienfach Elektrotechnik sind allerdings begrenzt. Es könnte sein, dass ich noch einige Jahre in Graz arbeite, weil man hier als Einsteiger leichter etwas findet.

DIE FURCHE: Worauf verzichten junge Menschen, die in die Stadt ziehen?

Hofer: Auf gemeinschaftlichen Zusammenhalt und Lebensqualität: Ruhe, Natur, Platz, gute Luft. Seit ich in Graz bin, habe ich immer ein leichtes Kratzen im Hals. In den Sommerferien ist das nach zwei Wochen wieder gut. Daheim kann ich aus dem Haus rausgehen, habe Platz, mich zu bewegen.

DIE FURCHE: Welche Gründe gibt es für junge Leute, am Land zu bleiben?

Hofer: Viele haben nie etwas anderes gesehen. Durch diesen Scheuklappenblick sieht man die Option, wegzugehen, gar nicht. Ich kann mir vorstellen, dass sich das viele mit 18 Jahren nicht zutrauen. Sie fragen sich: Wer wird meine Wäsche machen, wer wird kochen? Mit 25 oder 30 tun sie es nicht mehr, weil sie schon familiär gebunden sind.

DIE FURCHE: Haben die Jungen, die im Dorf bleiben, ein bisschen das Verlierer-Image?

Hofer: Jene, die weggegangen sind, haben eher die Bewunderung. Dableiben ist normal, weggehen ist etwas Besonderes. Da schwingt der Aufbruch, das Mutige mit. Ich merke aber schon, dass mein Erfahrungshorizont durch das Weggehen erweitert wurde.

DIE FURCHE: Welche Nachteile bringt das Landleben?

Hofer: Der Großteil meiner einstigen Schulkollegen pendelt. Ein Vereinsleben gibt es im Dorf nur am Wochenende, weil die Leute spät von der Arbeit heimkommen oder während der Arbeitswoche woanders wohnen.

DIE FURCHE: Wie ergeht es Ihnen als "Studierte" im Dorf?

Hofer: Es gibt immer Leute, die selbst gerne weggegangen wären, sich nicht getraut haben und einen beneiden, wenn man weg war. Mein Studienabschluss letztes Jahr war ein Gesprächsthema. Da bin ich geneckt worden bei Festen: "Bringt's der Frau Diplomingenieurin noch ein Glaserl!" Aber das ist nicht ungut gemeint. Mir war es wichtig, bodenständig zu bleiben. Im Vereinsleben übernehme ich auch gerne ungeliebte Arbeiten. Ich bin nach wie vor das Mädl vom Land, aber mit ein bisserl mehr Weitblick.

DIE FURCHE: Welche Projekte realisiert die steirische Landjugend?

Hofer: Wir sind mit 15.000 Mitgliedern die größte überparteiliche Jugendorganisation im Land. Wir kümmern uns um Persönlichkeits- und Allgemeinbildung, aber auch um Landwirtschafts- und Umweltthemen. Unsere 230 Ortsgruppen sind in der Brauchtumspflege tätig, organisieren Sportturniere. Gemeinschaft ist uns wichtig: einfach nur zusammenzusitzen oder Spiele zu spielen.

DIE FURCHE: Kann Politik die Landflucht überhaupt verhindern?

Hofer: Die Politik kann nur Ressourcen bereitstellen. Der Gestaltungswille muss von der Bevölkerung ausgehen. Alles, was von außen draufgesetzt wird, ist schwierig, weil Politiker kein gutes Image haben. Auf Gemeindeebene ist es bestimmt noch leichter als auf Landesebene.

DIE FURCHE: Wie könnte man jene, die weggegangen sind, zurückholen?

Hofer: Durch Kinderbetreuungsangebote und Wohnbau. Das Land als die bessere Stadt zu verkaufen, wird nicht funktionieren. Man muss sich bewusst sein, dass man am Land mit gewissen Abstrichen leben muss.

DIE FURCHE: Ihre Heimat, die Oststeiermark , hat ja ein gutes Image.

Hofer: Das Vulkanland schon. In der nördlichen Oststeiermark müssten wir uns auch ein Alleinstellungsmerkmal aufbauen. Ich muss meist erklären, wo ich herkomme - die Leute verbinden mit der Region nichts.

Das Gespräch führte Sylvia Einöder

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung