Lähmung, unwürdiges Schauspiel, gespaltene Nation, beschädigtes Image: Mit diesen und ähnlichen Schlagworten wird der US-Schuldenstreit seit Wochen beschrieben und kommentiert, auch und gerade nach der Einigung in letzter Minute.
Das hat natürlich alles was für sich, aber man kann dem Ganzen doch auch noch andere Facetten abgewinnen: Zu beobachten war nämlich etwas, das dem gelernten Österreicher seltsam vorkommen muss: dass es zwei Parteien gibt, die zu relevanten politischen Fragen diametral entgegengesetzte Positionen mit aller Vehemenz vertreten.
Geschenkt, dass hier auch Taktik im Spiel war, dass die Präsidentenwahl im kommenden Jahr bereits ihre Schatten vorausgeworfen hat, dass es vor allem bei den Republikanern auch um innerparteiliche Profilierungsbestrebungen gegangen ist etc. Aber das ändert nichts am grundsätzlichen Befund: In der Frage der Erhöhung der Grenze für die zulässige Staatsverschuldung haben Demokraten und Republikaner völlig verschiedene Zugänge, die klar konturiert zur Debatte stehen. Und diese Frage ist ja nicht irgendeine, sondern dahinter steht die fundamentale politische Frage nach der Rolle des Staates im Verhältnis zu seinen Bürgern, die Frage der Balance zwischen Eigenverantwortung und struktureller Solidarität, zwischen Freiheit und Sicherheit. Mithin also zentrale ordnungspolitische Fragen, auf die Antworten zu formulieren zu den Kernaufgaben von Politik gehört.
Mehr oder weniger Staat
Während in vielen europäischen Ländern die Grenzen zwischen Sozialdemokraten und bürgerlichen, liberalen und/oder christdemokratischen Parteien tendenziell verschwinden und in Österreich im besten Hegel’schen Doppelsinn in einer immerwährenden Großen Koalition aufgehoben sind, stehen in den USA echte Alternativen zur Wahl: mehr oder weniger Staat, mehr oder weniger Steuern, mehr oder weniger Schulden.
Man mag einwenden, dass die USA und Europa nicht vergleichbar seien und die US-Demokraten leicht rechts von den meisten europäischen Konservativen stehen. Aber das greift insofern zu kurz, weil man das jeweilige Parteienspektrum ja primär in Relation zur Mentalität und geistigen Verfasstheit des eigenen Landes sehen muss. Die Ausgangsbasis für die Diskussion darüber, was sozial oder liberal sei, ist eine ganz andere.
Verteidigung des Status quo
In Österreich sagte ein Spitzenpolitiker dieser Tage im Interview zur Frage nach der Leistungsfeindlichkeit hoher Einkommensteuern: "Diese sind unter dem Begriff Solidarität notwendig.“ Und zur hohen Belastung des Faktors Arbeit: "Es sind das Abgaben, die wir für das Sozialversicherungssystem brauchen, und da sehe ich noch nicht wirklich Alternativen.“ (Kleine Zeitung, 30. 7.). Das könnte von Werner Faymann stammen, kommt aber von Michael Spindelegger. Man kann das natürlich so sehen - aber dafür braucht man nicht unbedingt die ÖVP.
Nicht fehlen durfte bei Spindelegger übrigens auch der Hinweis auf das "österreichische Lebensmodell“. Das wird von Politikern - im größeren Kontext oft auch als "europäisch“ apostrophiert - gerne ins Treffen geführt, wenn die Zementierung des Status quo positiv überhöht werden soll. Faktisch ist es freilich - leider! - um ein echtes "europäisches Lebensmodell“ schlecht bestellt. Dieses speist sich in Wahrheit hauptsächlich aus einem habituellen Antiamerikanismus: Europa, das Nicht-Amerika. Das taugt notdürftig als Kitt für einen müden und erodierenden Kontinent, löst aber kein einziges der gewaltigen Probleme, vor denen die europäischen Länder als einzelne und die Europäische Union als Ganzes stehen.
Bei allen Auswüchsen und Seltsamkeiten des US-Systems: Ein wenig mehr Bescheidenheit bei der Beurteilung der Vorgänge jenseits des Atlantiks stünde Europa nicht schlecht an.
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