Tobisch Nachruf - © APA / Georg Hochmuth

Lotte Tobisch: Hinter dem Schillern

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Mit Klugheit und Witz, Courage und Haltung hat sich Lotte Tobisch in Österreichs Kulturgeschichte eingeschrieben. Harald Klauhs’ Biografie „Dame wider Willen“ erzählt davon.

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Mit Klugheit und Witz, Courage und Haltung hat sich Lotte Tobisch in Österreichs Kulturgeschichte eingeschrieben. Harald Klauhs’ Biografie „Dame wider Willen“ erzählt davon.

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Sie hat beinahe das gesamte historisch und politisch bewegte 20. Jahrhundert miterlebt und auch mitgeprägt, stand für die Verbindung zwischen Tradition und Moderne, vor allem aber setzte sie sich unerschrocken für alles ein, was man unter dem „humanen Aspekt“ betrachten kann.

Lotte Tobisch, eigentlich Lotte Tobisch von Labotýn, bekannt als elegant-schöne Opernball-Lady, wusste verschiedene politische und ideologische Seiten und Milieus zu integrieren. Doch viel zu kurz ist diese Zuschreibung gefasst, wie sie selbst betonte und der Publizist Harald Klauhs in seiner bei Residenz erschienenen Biografie „Dame wider Willen. Die sieben Leben der Lotte Tobisch“ schreibt. Lotte Tobisch war vor allem deswegen eine ungewöhnliche Frau, weil sie mutig dachte und agierte, weil sie sich gegen jede Form von Opportunismus wandte, stets mit einem offenen Herzen und wachem, messerscharfem Verstand die gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse beobachtete und entsprechend (re)agierte.

Echtes Interesse

Niemals war Vorteilnahme auch nur in irgendeiner Hinsicht ein Faktor in ihren Freundschaften und Beziehungen, sondern stets stand echtes Interesse am Gegenüber und an der Sache im Vordergrund. Dass sie ihren Mut, ihre Furchtlosigkeit und eine klare Haltung auch günstig als Politikerin einsetzen hätte können, zählte zu den Versäumnissen ihres Lebens, die sie am Ende bisweilen bedauernd nannte, vielleicht auch deshalb, weil sie die Wirkkraft ihrer Äußerungen und ihres Tuns erkannte.

Als Achim Benning, viele Jahre Tobischs Kollege am Burgtheater und später auch „ihr“ Direktor, auf ihre Einladung hin die Laudatio anlässlich ihres 90. Geburtstages hielt, betonte er: „Sie hat unprätentiös und ohne jedes opportunistische Kalkül, ohne jeden Anflug von selbstverliebter Wichtigtuerei und ohne die grassierende Selfie-Kultur auch nur den geringsten Tribut zu zollen, mit leuchtender Klarheit und rhetorischer Brillanz ihre Lebensgedanken der Öffentlichkeit angeboten, berührende und erhellende Einblicke in das weite Land ihrer neun Jahrzehnte und in die Tiefe ihres Lebens gewährt und ihre berühmten Lebens- und Nebenmenschen auf die Bühne der Erinnerungen gerufen.“

Benning spielt auf die Publikationen der Vorjahre an, auf den 2013 bei Brandstätter erschienenen Band „Langweilig war mir nie. Warum es sich lohnt, neugierig zu bleiben“ sowie auf das 2016 bei Amalthea herausgegebene Buch „Alter ist nichts für Phantasielose“. Drei Jahre später verstarb Tobisch im Alter von 93 Jahren, ihren schriftlichen Nachlass hatte sie bereits viele Jahre zuvor der Wienbibliothek vermacht, die nach der Übernahme des Bestandes die Ausstellung „Wiener Salon­dame? Ein Albtraum!“ zeigte, zu der auch ein Katalog erschien.

Doch wenn sie nicht als Opernball-Lady und auch nicht als Salondame wahrgenommen werden wollte, was machte Tobisch in ihrem Selbstverständnis aus? Harald Klauhs versucht die Fäden ihres Lebens zu verweben und geht dem öffentlichen Interesse an ihrer Person nach, deren Überzeugungen in ihren Handlungen erkennbar waren.

Dabei schildert er in seiner Biografie die Stationen eines zutiefst einsamen Kindes. Ihre Mutter, Nora Krassl von Traissenegg (ihrem Vater Johann Anton Krassl wurde 1913 vom Kaiserhaus das Prädikat „von Traissenegg“ verliehen), führte eine kurze Ehe mit dem böhmischen Beamten und Architekten Karl Tobisch-Labotýn, zeit ihres Lebens war die Beziehung zu beiden Elternteilen voller Spannungen. Trotz ihrer schnellen Auffassungsgabe flog Lotte aus einigen Schulen, ihr „renitentes“ Verhalten erschien als unzumutbar. Als junge Erwachsene fand sie am Theater einen Ort, an dem sie sich zu Hause fühlte und ihre Talente entfalten konnte. Bereits als 19-Jährige wurde Lotte Tobisch ans Burgtheater engagiert. Dort begegnete sie dem Chefdramaturgen Erhard Buschbeck, mit dem sie bis zu seinem Tod 1960 eine innige Liebe verband. Klauhs erzählt – erfreulicherweise ganz ohne den Blick unter die Bettdecke – von dieser unkonventionellen Beziehung. Erst viele Jahre nach Buschbecks Tod sollte sie sich ein weiteres Mal verlieben, in den israelischen Botschafter Michael Simon. Auch diese Liebe währte nur einige Jahre, Simon starb 1976.

Seine Demenzerkrankung gab den Anstoß für Lotte Tobischs Engagement in der Österreichischen Alzheimer Gesellschaft, deren Ehrenpräsidentin sie war, ebenso war sie mit unermüdlichem Einsatz für das Hilde-Wagener-Künstlerheim in Baden tätig.

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