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Psychiatrie und Religion

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Die dritte Revolution. Von Karl Stern. Otto-Müller-Verlag, Salzburg. 232 Seiten. Preis 7S S

Der Verfasser — ein vom orthodoxen Judentum zum Katholizismus konvertierter amerikanischer Psychiater — untersucht in diesem Buche vor allem die Frage, ob und inwieweit die Psychoanalyse mit dem christlichen Menschenbild vereinbar ist. Der Titel des Buches geht von der — von Freud selbst aufgeworfenen — Problemstellung aus: Drei große Revolutionen des Weltbildes haben die Stellung des Menschen in der Natur von Grund auf umgestaltet. Der erste Schlag für den Stolz des Menschen, die „kosmische Kränkung“, beruhte auf dem Sturz des geozentrischen Weltbildes durch Galilei. Der zweite Schlag, die „biologische Kränkung“, verband sich mit dem Siegeszug der Deszendenzlchre seit Darwin: Der Mensch, der sich bisher als „Krone der Schöpfung“ fühlte, wurde zu einem Zufallsprodukt blind wirkender Auslese im „Kampf ums Dasein“; der bisher unantastbare grundlegende Unterschied zwischen dem Menschen und dem Tier wurde auf eine graduelle Verschiedenheit und zur Blutsverwandtschaft mit den Affen reduziert. Die „dritte Revolution“, die „psychologische Kränkung“, wurde mit dem Namen von Sigmund Freud verbunden. Sie sollte den letzten Stoß gegen die Lehre von der Gottebenbildlichkeit des Menschen führen: Sie sollte die Abgründe des Unbewußten aufweisen und zeigen, daß die menschliche Vernunft nur eine unbedeutende Welle an der Oberfläche dunkler, geheimnisvoller Strömungen blinder irrationaler Kräfte darstelle.

Wir wollen uns hier darauf beschränken, die These von der „dritten Revolution“ kritisch zu prüfen. Wenn die Kirche gegenüber der „ersten Revolution“ lange Widerstand geleistet hat, ehe sie sich zur Feststellung entschloß, daß durch das neue astronomische Weltbild die Lehre von der Sonderstellung des Menschen im Kosmos nicht berührt werde — so hat sie relativ rasch mit der „zweiten Revolution“ einen Modus vivendi gesucht — und scheinbar gefunden, obgleich gerade hier die wissenschaftlichen Grundlagen weit weniger gesichert Sind und gerade in neuester Zeit der Evolutionismus von wissenschaftlicher Sicherung weiter entfernt ist als je zuvor.

Der „dritten Revolution“ gegenüber ist noch keine definitive Stellungnahme pro oder kontra erfolgt. In der ersten Zeit der Psychoanalyse schien es, als sei sie mit der katholischen Glaubens- und Sittenlehre unvereinbar. Die Untersuchungen katholischer Psychiater in neuerer Zeit haben aber in überraschender Weise gezeigt, daß die tatsächlichen, gesicherten Forschungsergebnisse der Psychoanalyse mit der katholischen Anthropologie nicht nur nicht unvereinbar sind, sondern geradezu erst im Rahmen einer katholischen universalistischen Wissenschaft ihre wertvollsten Resultate zeitigen. Der Verfasser selbst hat in dieser Arbeit eine Fülle von Material aus eigenen Untersuchungen und Beobachtungen beigebracht, die dies bestätigen. Besonders aufschlußreich sind in dieser Hinsicht die Kapitel 7, 8 und 9 dieses Buches.

Zusammenfassend schreibt er auf Seite 230: „Es ist manchmal erschütternd, zu sehen, wie unempfindlich katholische Amerikaner gegen das sind, was man die .technokratische Ketzerei' nennen könnte. Ich bin in katholischen Universitäten psychologischen Abteilungen begegnet, in denen Persönlichkeitsteste mit Hilfe von Apparaten, Kurven, Statistiken, Fragebogen, phonographischen Aufzeichnungen usw. studiert wurden ... die ganze methodologische Atmosphäre macht unvermeidlich, daß man in ein Gebiet hinübergleitet, in welchem die Wissenschaft zur Entpersönlichung wird.“ Demgegenüber herrscht oft eine schwer überwindbare Voreingenommenheit gegen die Tiefenpsychologie. Hierzu sei bemerkt, daß diese Kritik des Verfassers auf einen der berühmtesten Vertreter der katholischen Experimen-talpsychologie zutrifft: auf P. Agostino Gemelli, der der Psychoanalyse ebenso intransigent gegenübersteht, wie tolerant gegenüber der positivistisch-mechanistischen Experimentalpsychologie.

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