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Ausweglose Opposition

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Die Politik — die Außen-, aber auch die Innenpolitik — eines Landes kann auf verschiedene Weise vor die Hunde gehen. Das sicherste Rezept jedoch lautet wie folgt: Man nehme ein möglichst großes Quantum an Illusionen und vermenge sie mit der Unkenntnis über die eigenen sowie des Gegners Möglichkeiten und Reserven. Eine Prise Aggresivität, ausgedrückt in Reden, in denen man sich vorzeitig und öffentlich festgelegt, kann nicht schaden. Das Ergebnis müssen dann alle auslöffeln, nicht nur diejenigen, die es gekocht haben.

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Die Politik — die Außen-, aber auch die Innenpolitik — eines Landes kann auf verschiedene Weise vor die Hunde gehen. Das sicherste Rezept jedoch lautet wie folgt: Man nehme ein möglichst großes Quantum an Illusionen und vermenge sie mit der Unkenntnis über die eigenen sowie des Gegners Möglichkeiten und Reserven. Eine Prise Aggresivität, ausgedrückt in Reden, in denen man sich vorzeitig und öffentlich festgelegt, kann nicht schaden. Das Ergebnis müssen dann alle auslöffeln, nicht nur diejenigen, die es gekocht haben.

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Wer die Vorgänge in der österreichischen Innenpolitik während der vergangenen Woche aufmerksam verfolgt hat, konnte unschwer die Ansätze für. eine Lizitationspolitik bemerken. Lizitationspolitik — was ist das? Und wie vermeidet man sie? Mit pathetischen Warnungen, mit Mahnungen an das staatspolitische Bewußtsein und die Verantwortung allein gewiß nicht. „Wir sitzen alle im gleichen Boot und möchten daher das Kind nicht mit dem Bade ausschütten, denn sonst wird uns eines Tages die Rechnung präsentiert werden“: Diese und die sonstigen noch bei solcher Gelegenheit verwendbaren Stilblüten sind sehr billig zu haben und sind dementsprechend wirkungslos. Die Wirklichkeit sieht anders aus.

Für politische Seminare, Abteilung Theorie, mag das alles stimmen. Eine Oppositionsparted soll nur soviel fordern, soviel sie, käme sie an die Regierung, auch wird durchführen können, ohne den Staat und die Existenzbasis der Staatsbürger zu ruinieren oder dauernd zu schwächen. An diesen ethischen Grundsatz haben sich bisher nur sehr wenige Oppositionsparteien gehalten, denn sie waren der Auffassung — und ihrer Argumentation konnte man eine gewisse Logik nicht absprechen —, daß sie zuerst einmal an die Macht kommen wollten. Was nachher geschehen würde, war erst in zweiter Linie interessant. Ja, es soll sogar Parteien geben, die sich auch als Regierungspartei in einer Koalition eine ähnliche Taktik zurechtgelegt haben, vorausgesetzt natürlich, daß Bundeskanzler und Finanzminister von der anderen Partei gestellt wurden. Denn diese sorgten dann dafür, daß die Bäume nicht in den Himmel wuchsen, um eine weitere gängige Phrase zu gebrauchen.

Wo sind aber die Gärtner jetzt, die Wächter über Budget, Staats- und Gemeinwohl? Hat man nicht, am 20. April dieses Jahres, den Bock zum Gärtner gemacht, indem nun jene Partei, die nicht nur in den letzten vier Jahren der ÖVP-Regierung, sondern bereits während der Koalitionsära und ferner, in ihren vielgerühmten Programmen, gleichsam auch schon die Zukunft vorwegnehmend, all das, was vielleicht nicht immer gut, aber fast immer teuer war, für ihre Wähler gefordert hat, den Bundeskanzler und den Finanzminister stellt?

Gut, man könnte sagen, diese tragen jetzt die volle Verantwortung und mögen mit dieser, wie sie nur können, fertig werden. Das ist nun einmal das Risiko jeder Partei, die von der Opposition zur Regierungsbank hinüberwechselt.

Das mit der Verantwortung stimmt aber nicht ganz. Denn diese Regierung trägt die Verantwortung nicht allein. Sie kann nur Gesetze in der Volksvertretung durchbringen, wenn sie dabei mindestens von einer der Oppositionsparteien unterstützt wird. Und das bedeutet Mitverantwortung. Jede Mehrausgabe, jedes neue Gesetz muß also von einem Teil der Opposition mitverantwortet werden. Es ist letztlich eine Art von Koalition, nur mit dem Unterschied, daß nun die frühere Fordererpartei bremsen muß. Was geschieht aber, wenn sie nicht bremst, fröhlich mitlizitiert? Es wäre anderseits zuviel verlangt, jetzt der großen Oppositionspartei vorzuschreiben, sie müsse die Rolle übernehmen, besser gesagt weiterhin üben, die einst Raab und Karnitz und zuletzt Klaus und Koren geübt haben, wobei diese damit rechnen konnten, daß der einsichtigere Teil der Wählerschaft die Zusammenhänge versteht und die verantwortungsbewußte Haltung jener, die zur Mäßigung rieten und die gleichzeitige Erfüllbarkeit aller Wünsche in Frage stellten, honoriert. Daß Letzteres nicht immer geschah und daß die Einsicht in die, zugegeben, immer komplizierter werdenden Sachzusammenhänge bei der Wählerschaft eher abnimmt, war die für die Volkspartei betrübliche Erkenntnis der letzten Monate. Und jetzt soll diese Partei, in die Opposition gedrängt, weiterhin die Rolle des Wächters über das Gemeinwohl, des lästigen Warners, Mahners und Bremsers spielen? So haben sich die Oppositionsrolle jene Wähler und Funktionäre der Volkspartei, die nach dem 1. März den Gang in die Opposition stürmisch verlangt haben, nicht vorgestellt. Das Dilemma ist groß utnd nur fürs erste damit beiseitegeschoben, daß man sagt, die Erhöhung der Witwenpension auf 60 Prozent sei eben als zweite Etappe bereits von der Volkspartei vorgesehen gewesen. Andere und schwerwiegendere Belastungen werden zur Debatte stehen. Die FPÖ hat dabei den Hebelarm in der Hand. Sie braucht nur mit der SPÖ zu stimmen, und die Volkspartei steht mit säuerlicher Miene als Hüterin der Moral und der wirtschaftlichen Vernunft allein da.

Eine Opposition, welche die Mehrheit hat, ist ein Widerspruch in sich, sie ist ein Zustand des Ungleichgewichts, der nicht lange dauern kann. Entweder wird sie — die Opposition — beendet, oder sie geht — die Mehrheit — verloren. Ein Drittes gibt es nicht.

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