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Das sechste Kabinett De Gasperi

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Die fünfte Kabinettskrise De Gasperis begann im vergangenen Herbst aus einem rein formalen Anlaß: die der Regierung angehörigen Exponenten der Saragat-Partei demissionierten, um vor den bevorstehenden Kongreß ihrer Partei frei von Bindungen treten zu können, ohne daß sachliche Unstimmigkeiten innerhalb des Kabinetts zutage getreten wären. De Gasperi hätte ohne weiteres die freien Portefeuilles mit Exponenten der drei in der Regierung verbleibenden Parteien besetzen können, womit die Krise,, die keine war, bereinigt gewesen wäre. De Gasperi war aber nach wie vor entschlossen, die Vierparteienkoalition, die sich aus den Wahlen ergeben hatte, aufrechtzuerhalten, und besetzte daher die freien Ministersessel nur interimistisch, um die Ergebnisse des Saragat-Kongresses abzuwarten. In dieser Lage wurde jedoch offenbar, daß sich diese anfangs rein formale Krise, um sie überhaupt so zu nennen, in eine sachliche ausweiten sollte, da die anderen Koalitionsparteien den Anlaß wahrnahmen, ihre internen Probleme bei der Regierungsumbildung einem Klärungsversuch zuzuführen.

Innerhalb der Democrazia Cristiana (DC) traten im Dezember vergangenen Jahres an sich schon bekannte und bestehende Spannungsmomente verstärkt zutage, und es schien zeitweilen, als ob eine Spaltung unvermeidbar wäre, eine Entwicklung, die nicht ohne Parallelen in der gleichzeitigen Entwicklung der großen österreichischen Bruderpartei dastand. Die heftigste Opposition gegen De Gasperi und die Parteileitung der DC ging vom Präsidenten des Abgeordnetenhauses Giovanni Gronchi aus. Dieser, der Katholischen Aktion und dem aktivistischen linken Flügel der Partei, nahestehende Politiker ist seit Jahren bestrebt, seine Position auf dem linken Flügel der Partei zu betonen. Schon zur Zeit der konstituierenden Nationalversammlung in den ersten Nachkriegsjahren brachte seine offene Polemik gegen die extrem rechts orientierten Parteien die DC in Gefahr, wertvolle Stimmen zu verlieren, und De Gasperi mußte zusehen, wie er die Sache applanieren konnte. Manche Kreise der DC sind der Ansicht, Gronchi beziehe seine Stellung aus Antagonismus gegen De Gasperi, andere wieder vertreten die Meinung, Gronchi handle aus persönlichem Ehrgeiz, wenn er kritisiere, statt die Verantwortung der Regierung mitzutragen, da er sich eine Plattform für den Fall seines Austrittes aus der Partei schaffen wolle. Diese Plattform suche er durch Förderung einer „dritten Kraft“ in Gestalt der vereinigten Saragat-und Romita-Sozialisten sowie Republikaner zu bilden. '

Der Hauptpunkt der Kritik Gronchis an der Führung seiner Partei liegt auch jetzt auf der Linie der Förderung der dritten Kraft, die dem politischen Antagonismus in Italien zwischen Kommunismus und DC die Spitze nehmen solle. Er fordert daher, die DC solle allein die Verantwortung der Regierung übernehmen und Saragat und die Republikaner in die Opposition und damit in den Bannkreis der neugebildeten Romita-Sozialisten drängen. Auch außerhalb des um die Zeitung „La Libertä“ gesammelten Anhangs Gronchis sind viele Politiker der DC der gleichen Ansicht; dieser Vorbehalt bildet auch in der neuen Regierung schon wieder einen Keim der Gefährdung der Stabilität und Lebensdauer derselben.

Innerhalb der anderen Koalitionsparteien, den Saragat-Sozialisten, den Republikanern und Liberalen, wogt eine ständige Auseinandersetzung zwischen Anhängern der Teilnahme an der Regierung und Gegnern derselben, eine Auseinandersetzung, die sich häufig mit dem Kreis der befriedigten Ambitionen und dem der nicht befriedigten deckt, und die verständlicherweise immer in der Zeit einer Regierungsumbildung an Schärfe gewinnt. Auch untereinander haben diese Parteien ihre gewissen Reibereien. So erklärte Saragat vor einigen Wochen: „Wenn ich ein Liberaler wäre, würde ich lieber aus der Regierung austreten, um mich ganz der Aufgabe der Organisation der konservativen Schichten zu widmen.“ Das ließ die Liberalen nicht ruhen und sie replizierten, Saragat solle sich nicht den Kopf zerbrechen, was er täte, „wenn er ein Liberaler wäre“, sondern lieber klipp und klar sagen, was er täte, „wenn er ein Sozialist wäre“.

Die Republikaner wieder, die gern mit der Aureole eines gewissen bürgerlichen Radikalismus spielen, erklärten, „mit den Konservativen (= Liberalen) könnten sie keinen Block mehr bilden“. Diese wohlgemeinten Winke mit dem Zaunpfahl scheinen aber auf fruchtbaren Boden gefallen zu sein, da die Liberalen tatsächlich der neuen Regierung fernblieben.

Das Zeremoniell der Regierungsneubildung rollte zum erstenmal seit der Wahl Einaudis zum Staatspräsidenten'ab. Die Besprechungen des Präsidenten fanden im Quirinal statt, durch den noch immer eine gewisse Luft der Etikette weht, mit Kürassieren in Gala, und Dienern in Livree. Die Großen der römischen Politik gaben sich dort ihr Stelldichein: zuerst der vorhergehende Präsident, der bekannte neapolitanische Advokat De Nicola; dann Ivanoe Bonomi, der erste Ministerpräsident der Nachkriegszeit; Gronchi, der Präsident des Abgeordnetenhauses; der greise Vittorio Emänuele Orlando, der 1919 Kammerpräsident war; der kommunistische Senator Terracini, der das Präsidentenamt der konstituierenden Nationalversammlung innehatte; Conte Sforza, einer der beiden Republikaner in der neuen Regierung, neben Pacciardi, Verteidigungsminister; Saragat; der 81jährige Francesco Saverio Nitti, Premier der Jahre 1919/20. Es folgte Palmiro Togliatti, der eigens aus Modena kam, von der Tagung seiner Partei anläßlich der Vorfälle von Modena. Am Vortage hatte seine Zeitung, die „Unitä“, eine Erklärung der in Modena versammelten Deputierten und Senatoren der KPI veröffentlicht: „Wenn die Ermahnung des Volkes noch einmal ungehört bleibt und neues Blut fließen sollte, wird eine allgemeine Bewegung der Völksmassen die Bestrafung der Verantwortlichen und eine radikale Änderung der Regierungspolitik gegenüber den Arbeitern und Staatsbürgern erzwingen.“ Nach dieser deutlichen Sprache war vorauszusehen, was Togliatti dem Präsidenten sagen würde, und welches die Forderungen seiner Partei waren. Am Ende dieser Besprechung gab Togliatti den Journalisten ein Achtpunkteprogramm seiner Partei zur Besserung der Lage bekannt: Einhaltung der Verfassung, Austritt De Gaspe-ris und Scelbas aus der Regierung, Austritt Italiens aus dem Atlantikpakt, Ablehnung der wirtschaftlichen Auslandshilfen, Förderung des Wirtschaftsaustausches mit der UdSSR, Agrarreform, Wirtschaftssanierung nach den Richtlinien seiner Partei.

Nenni war dagegen in seinen Presseerklärungen nach Beendigung der Besprechung mit dem Präsidenten wesent-' lieh zurückhaltender. Von Sandro Pertini stammt dagegen der bei dieser Gelegenheit geprägte Ausspruch: „Pella macht die Arbeitslosen, Scelba begräbt sie“. Pella ist der Austerity-Schatzminister, der auch dem neuen Kabinett angehört, Scelba, dem gleichfalls wieder die Agenden des Inneren anvertraut wurden, ist nach kommunistischer Version Autor der bedauerlichen Vorfälle von Modena.

Nach Beendigung der Besprechungen erteilte am 14. Jänner Einaudi dem demissionierenden Premier neuerdings den Auftrag zur Bildung der Regierung, die allerdings noch weitere zwei Wochen in Anspruch nahm. In der neuen Regierung bleiben die Republikaner, wie schon erwähnt, mit zwei starken Figuren im Spiel; Saragat und die Liberalen haben sich die gegenseitigen Empfehlungen zu Herzen genommen und sind der Regierung ferngeblieben. Saragat begründete seinen Entschluß, persönlich kein Portefeuille zu übernehmen, mit der Notwendigkeit seines vollen Einsatzes für die Entwicklung der italienischen sozialdemokratischen Partei und des Kontakts mit den Rechtssozialisten des übrigen Europa. Er gab aber im Rahmen einer sehr noblen Loyalitätserklärung für De Gasperi zu verstehen, daß er nicht die billige Rolle des Kritikers gewählt habe, der selbst die Verantwortung ablehnt, sondern durch die Tatsache des Fernbleibens von den Regierungsgeschäften sich seinen ehemaligen Ministerkollegen gegenüber um so mehr für den Erfolg der neuen Regierung verantwortlich fühle.

Die italienischen Koalitionsparteien haben es jedenfalls zuwege gebracht, die Extratouren ihrer engeren Parteiinteressen dem Prinzip der westlichen Schicksalsgemeinschaft unterzuordnen, worauf auch Don Sturzo in den Tagen der Regierungsbildung hingewiesen hatte. In diesem Sinn wurde das Problem der Regierungsbildung auch verstanden und gelöst.

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