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Fanfanis erste Schritte

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Die neue Regierung Fanfani hat ihre erste Ministerratssitzung abgehalten, zu deren wichtigsten Entschlüssen die Abhaltung der längst fälligen Gemeindewahlen in Rom, Neapel, Bari, Foggia und mehreren kleineren Wohnzentren gehört. Die so rasche Verwirklichung eines Versprechens, das Fanfani dem Parlament in seinen programmatischen Erklärungen gegeben hatte, kann nur einen günstigen Eindruck hervorrufen, denn sie ist ein Zeichen des Mutes, des Vertrauens

und der Zuversicht. Die zu den Urnen gerufene Wählerschaft beträgt mehr als vier Millionen, und wenn es sich auch hauptsächlich um Städte Mittel-und Süditaliens handelt, so dürfen ihre Stimmen doch als bezeichnender Teil der Gesamtwählerschaft gelten. Daß es sich um Gemeindewahlen und nicht um politische handelt, ist ohne Belang. Die für den 10. Juni angesetzte Befragung der Wählerstimmung ist nach all dem, was sich in Italien seit zwei Monaten innerpolitisch ereignet hat, auf jeden Fall eine hochpolitische Angelegenheit. Bis zum Juni wird der Ministerpräsident wenig Gelegenheit haben, zu beweisen, welche Vorteile Italiens Volk aus der neuen Zusammenarbeit zwischen der Christlichen Demokratie und den Linkssozialisten erwachsen; bis dahin werden die Kassandrarufe der Opposition in der katholischen Partei unwiderlegt bleiben und ihre hypothetische Gültigkeit bewahren, jene Befürchtungen, daß die „Linksöffnung“ Moros, des Parteisekretärs, und Fanfanis, des Regierungschefs, sich in der nachträglichsten Weise auf die Anhängerschaft der DC auswirken und eine Abwanderung zu den Rechtsparteien hingenommen werden müsse.

Im Feuer der Parlamentsdebatte

Im Feuer der parlamentarischen Debatte über das Regierungsprogramm hat der liberale Abgeordnete Gaetano Martine in seiner mit lateinischen Zitaten gespickten Rede pathetisch ausgerufen: „Abyssus abyssum invocat, ehrenwerter Fanfani, Ihr Name wird an die Zerstörung alles dessen geknüpft bleiben, was Ihre Partei in unserem Land seit 1947 errichtet hat.“ Worauf Fanfani einen Schlüsselbund aus der Tasche zog und, wie es in Italien Brauch ist, „auf Eisen klopfte“. Aber auch der aus der Regierung ausgeschiedene Innenminister Mario Scelba hat seine Befürchtung ausgedrückt, daß die äußerste Rechte zum Schaden der DC und als Folge der Linksschwenkung an Stärke zunehmen werde. Er fügte hinzu, daß man diese Erscheinung voraussehen und bis zu einem gewissen Grad als Preis für die „Linksöffnung“ in Kauf nehmen müsse; alles hänge davon ab, daß sich das Phänomen in kontrollierbaren Grenzen hält, sonst würden auch dramatische Situationen entstehen können. Die Gemeindewahlen, besonders

in Rom und Neapel, wo Neofaschisten und Monarchisten traditionell starke Positionen besitzen, werden einen ausgezeichneten Test dafür abgeben, ob die düsteren Voraussagen eines starken Blutverlustes der DC zugunsten der Rechten berechtigt waren oder nicht.

Entmutigte Heckenschützen

Seit dem Wahlsieg De Gasperis im Jahre 1948 hat keine Regierung mehr über eine derartige Stimmenmehrheit

im Parlament verfügt, wie es Fanfani jetzt dank der sozialistischen Stimmenthaltung tut. Sie ist so groß, daß auch bei den kommenden geheimen Abstimmungen die Heckenschützen in der christlichdemokratischen Partei entmutigt werden müssen. Was also die parlamentarische Basis anbelangt, kann Fanfani ohne Zögern an die Realisierung seines Programmes schreiten. Als erstes wird das Feld von allen jenen Maßnahmen geräumt, die bereits auf dem Wege waren und rasch verabschiedet werden können: die spruchreife Reform des Senats, die Modernisierung der Staatseisenbahnen, der Entwicklungsplan für Sardinien, das Gesetz gegen die Baugrundspekulationen, die Regelung der Zensur, der Entwicklungsplan für die Schule. Bisher fehlen aber noch alle Andeutungen, in welcher Weise die Regierung die eigentlichen großen Probleme anpacken will, die auf Grund der Vereinbarungen zwischen den Regierungsparteien, Christlichdemokraten, Sozialdemokraten und Republikaner und der sie unterstützenden linkssozialistischen Partei gelöst werden müssen. Einige von diesen stoßen auf die entschiedene Gegnerschaft in der christlichdemokratischen Partei, vor allem die Durchführung der von der Verfassung vorgesehenen regionalen Ordnung Italiens und die Verwirklichung der ebenfalls konstitutionell verankerten Region mit Sonderstatut Friaul-Julisch Venetien, mit Udine oder Triest als Hauptort. Die Opposition der Rechten gegen die Regionen reicht weit in die DC hinein, wie weit, ist allerdings schwer zu sagen. Wollte man dem Exminister Scelba Glauben schenken, so würde die regionale Ordnung Italiens mit den vorgesehenen lokalen Autonomien bedeuten, daß Italien „vom Po bis Rom der extremen Linken, Sozialisten und Kommunisten, übergeben wird“. Das vorausgesehene Unheil ist unermeßlich: Sogar strategische Bedenken sprächen gegen die Regionen, indem sich lokale Polizeiheere bilden könnten, die einer Invasion aus dem Osten, an der adriatischen Küste, das Tor öffnen würden! In Ländern mit bundesstaatlicher Verfassung können die Argumente gegen die mit einer gewissen Verwaltungsautonomie ausgestatteten Regionen Lächeln hervorrufen, in Italien bedeutet die regionale Ordnung ein Umdenken, ein neues Verhältnis zwischen Bürger und Staat.

Zwar hat der große politische Denker Giuseppe Mazzini die Region zu dem Pfeiler machen wollen, auf dem sein Idealstaat Italien ruhe sollte, aber das Haus Savoyen und sein treuester Diener Camillo Cavour glaubten, daß nur der Zentralismus napoleonischer Prägung dem aus den verschiedenen Ländern italienischer Sprache zusammengebrachten Staat den notwendigen Halt geben könne. Auf diesem Standpunkt verharrt ein guter Teil der Italiener heute noch. Die DC hat der politischen und psychologischen Schwierigkeiten wegen die Durchführung der Verfassung in diesem Punkt nie ernsthaft betrieben; erst jetzt, unter linkssozialistischem Druck, muß sie das Problem angehen.

Eine heikle Operation

Ebenso unnachgiebig zeigt sich die Partei Pietro Nennis in der Frage der Verstaatlichung der Energiequellen. Auch sie ruft in der DC ernste Verdauungsbeschwerden hervor. Der Haupteinwand der konservativen Rechten ist nicht von der Hand zu weisen: Die Nationalisierung der Elektrizitätswirtschaft wird eine kostspielige Sache werden, die dafür aufzuwendenden Milliarden könnten viel besser anderswo eingesetzt werden. Fanfanis Fachminister stehen vor einer sehr heiklen Operation. Die Verstaat-

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