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Koalition in Rot-Blau?

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Wenige erhoffen es, einige befürchten es, manche halten es trotzdem für möglich, daß über die drei „Seitensprünge“ hinweg Sozialisten und Nationale in spät aufgebrochener Liebe zueinander finden und eine Koalition einzugehen sich anschicken, die angesichts der politischen Geographie unseres Landes bedenkliche „laotische“ Züge aufweisen könnte.

Die Zusammenarbeit der ÖsterreiT chischen Volkspartei und der Sozialistischen Partei Österreichs hatte und hat noch heute alle Merkmale einer von der Vernunft bestimmten Gemeinschaft. Die Konflikte sind nicht von natürlichen und unaufhebbaren Gegensätzen bestimmt.

Anders die von einigen Taktikern und zur Macht (sowie zur Ministerpension) drängenden FPÖ-Anhängern angestrebte Verbindung. Beide Parteien haben, vom „Fall Otto“ und „Fall ÖVP“ abgesehen, völlig verschiedene Grundkonzepte:

• in der Integrationsprogrammatik,

• im sozial-wirtschaftspolitischen Be-reich,

• in der Auslegung der österreichischen Unabhängigkeit und der

• Neutralitätsklauseln des Staatsvertrages.

Die Folgen

Zu welchen Ergebnissen die Absprachen in diesen Tagen auch führen mögen: die bisherige Form der Zusammenarbeit, wie sie noch im Kabinett Gorbach I notdürftig bestanden hatte, kann nicht mehr aktiviert werden. Der Riß wird weiter bestehen. Die Eigenart der Zweiten Republik bestand in einer trotz allen Spannungen doch immer wieder herbeigeführten Kooperation der beiden Großparteien. So sehr die Mitglieder der Regierung und des Koalitionsausschusses an die Richtlinien ihrer Partei gebunden sind, es waren im Kern doch auch unabhängig denkende Personen, Persönlichkeiten, die sich in entscheidenden Situationen der Appartschiks zu erwehren wußten und das Gemeinwohl dem Parteiwohl vorwogen. Die Parteienkoalition wurde also in der Koalition doch von Persönlichkeiten realisiert.

Das ist nun anders geworden. Und wie es noch mehr anders werden würde, geht aus der Antwort auf die Frage hervor, welche Folgen ein Zusammenbruch der Koalition haben würde:

“ 1. Der Proporz, bis in letzte Verwaltungsgremien institutionell verankert und durch Anstellungsverträge für die in Frage kommenden Personen abgesichert, müßte gelöst werden, um der neuen rot-blauen Regierungskoalition die Möglichkeit zu bieten, sich auch nach unten durch Vertrauensleute durchzusetzen. Das hieße: „Liquidieren“ der ÖVP-Leute. Die Parteien würden noch mehr „Beutegemeinschaften“. Freilich wäre die Proporzgegnerschaft der FPÖ, wenn sie am Proporz partizipiert, in Hinkunft wahrscheinlich erheblich geringer.

2. Der Österreichische Gewerkschaftsbund, Österreichs stärkster In-teressentenverband, wäre als Einheitsgewerkschaft bedroht. Das Entstehen von Richtungsgewerkschaften, begünstigt durch ohnedies vorhandene Gewerkschaftsfeindlichkeit, wäre durchaus möglich.

3. Der Föderalismus in der Eigenart der westlichen Bundesländer wäre nun an keine Rücksichten auf ÖVP-Regie-rungsmitglieder gebunden und könnte zu einer faktischen Teilung in Ost-und West-Österreich ausarten.

4. Die SPÖ, in den letzten Jahren vor allem eine österreichische Partei, müßte nun die FPÖ „taufen“ und wäre gegengleich genötigt, durch die „Morgengabe“ einer für die FPÖ günstigen Wahlrechtsreform Abstriche von der in den letzten Jahren erarbeiteten — wir zögern nicht, auch heute dies zu bezeugen — erfreulich eindeutigen rot-weißroten staatspolitischen Linie zu machen.

5. Die Rückkehr der KP in das Parlament wäre unaufhaltbar.

6. Der bisher mögliche Regreß der SPÖ auf den Partner wäre in Hinkunft unglaubwürdig angesichts der schwachen Position der FPÖ. Was uns nun droht, Konjunkturrückgang (verringertes Wachstum unseres Sozialproduktes), Ansteigen der Arbeitslosigkeit, Reduktion des Schillingwertes, müßte die SPÖ praktisch allein verantworten.

7. Welches Integrationskonzept würde sich durchsetzen, da doch die beiden neuen Partner eindeutig einander entgegengesetzte Ansichten in der Frage EWG haben?

8. Wie würde es mit der Kulturpolitik sein? Wenn das Unterrichtsministerium einem Mann der FPÖ anvertraut wird, kann die SPÖ von der Begünstigung des Antiklerikalismus, dessen Vertreter die Männer der FPÖ sind, kaum freigesprochen werden.

Eine nicht immer geradezu glückliche Personalpolitik hat ohnehin den antiösterreichischen Freisinn heute schon wieder die Tore der hohen Schulen geöffnet.

9. Wer wird das Landesverteidigungsministerium übernehmen? Könnte es nicht sein, daß gewisse personelle Entwicklungen in den obersten Führungsgremien des Bundesheeres unter dem Schutz der neuen Koalition verstärkt werden und das österreichische Heer zum geistigen Satelliten einer fremden Wehrmacht machen?

10. Last, not least: die außenpolitischen Rückwirkungen. Österreich würde nach Zerbrechen der großen Koalition, die die politische Stabilität garantiert, in West und Ost „interessant“ werden. Wie dieses Interesse aussieht, kann man sich lebhaft vorstellen. Auch braucht man sich nur an die späten zwanziger und frühen dreißiger Jahre erinnern, als das Ausland in Österreich Politik machte. Verstärkte Investitionen für die KPÖ könnten zum Beispiel ihr Gegenstück in der finanziellen Aufpäppelung rechter

und rechtsextremer Gruppen durch ausländische Geldgeber finden. Ein Teufelsrad begänne sich erneut zu drehen.

Eine Zumutung

Diese Diskrepanz muß noch deutlicher gespürt werden an jener Stelle, die dazu laut und deutlich ja oder nein sagen muß: bei Österreichs Bundespräsidenten.

Er wurde von Tausenden von Nicht-sozialisten, aber auch von Sozialisten, in der Annahme gewählt, daß er über den Parteien (auch über seiner eigenen!) stehen und die Zusammenarbeit zwischen Volkspartei und Sozialisten garantieren werde.

Nun wird plötzlich das Gerücht laut, daß der Bundespräsident nur jener politischen Kombination seine Zustimmung geben werde, die ihm von der SPÖ vorgeschlagen werde, nie jedenfalls einer Koalition ÖVP-FPÖ, wohl aber einer von SPÖ und FPÖ.

Eine derartige parteipolitische Fixierung ist dem österreichischen Staatsoberhaupt, dessen Objektivität kennenzulernen man in den letzten Jahren oft Gelegenheit gehabt hat, nicht zuzumuten. Wir sind im Gegenteil der Meinung, daß derlei auch nur zu behaupten geradezu einer Beleidigung des Staatsoberhauptes gleichkommt.

Eine Chance der ÖVP?

Die Volkspartei dagegen hätte in

Wie es war...

Sachlich allerdings sind keine Gründe für die Liquidation der Koalition sichtbar. Im Gegenteil. Österreich war und ist ein Modell für politische Stabilität, trotz polarer Gegensätze, die bisher im Interesse des Landes auf der höheren Ebene eines Kompromisses bereinigt werden konnten.

Die Gründe für die Krise der Koalition in ihrer bisherigen Zusammensetzung sind persönlicher Natur: Es fehlen die menschlichen Kontakte, wie sie etwa noch zwischen Figl, Raab und Böhm oder Raab und Olah bestanden hatten. Eine Koalition ist nun auch eine menschliche Kooperation. Wir merken ihr Fehlen seit Jahren.

Die Koalition von ÖVP und SPÖ war und ist eine Ergänzung der Arbeit der sozialen Großgruppen. Keine der beteiligten Gruppen mußte Prinzipien aufgeben. Letzten Endes kam es immer wieder zu schöpferischen Kompromissen. Gleiches kann man nicht sagen, wenn je SPÖ und FPÖ eine Ehe eingehen sollten, ist doch für die Sozialisten die FPÖ ein „Mischling ersten Grades“ und wird es bleiben. Wenn auch von Helmer der VdU als „Ehrenarier“ deklariert wurde, wagte man nicht daran zu denken, je mit den Nationalen eine Ehe einzusehen. Die Distanz zwischen SPÖ und FPÖ ist jedenfalls erheblich größer als zwischen

einer Opposition gewiß auch eine echte Chance, sich auf die Prinzipien des Ursprungs zu besinnen: Bisher bestanden „Reformen“ überwiegend darin, daß der Herr A vom Posten x auf den Posten xl abgeschoben und der auf xl Befindliche B auf x versetzt wurde. Eine Parteireform besteht aber nicht allein in einem Ringelspiel von Versetzungen und in wortreichen Deklarationen oder in der Bildung von Arbeitskreisen, sondern in erster Linie in dem Aufbau einer „zweiten Linie“ einsatzbereiter Personen.

Eine gut genützte Oppositionsstellung gäbe der ÖVP die Möglichkeit • umzudenken, neue „rücksichtslose“ Konzepte zu entwickeln, • sich zu reorganisieren, wieder Volkspartei zu werden, • ihre Intelligenzfeindlichkeit, z. B. in Wien, aufzugeben, um Anhänger und Wähler werben zu müssen, also Attraktionen zu schaffen.

Freilich weiß man heute noch nicht, in welcher Form die Volkspartei aus dem „Stahlbad“ der Opposition hervorginge. Es wäre auf jeden Fall eine andere Partei. Eine, die wieder mehr den durch die Tagespolitik verdunkelten christlich-demokratischen Leitbildern ihrer Gründerzeit folgt, oder eine, die noch mehr als bisher sich als „Rechtspartei“ vorstellt — mehr „gaullistische Union für die neue Republik“ als katholische Volksrepublikaner?

FPÖ und der heutigen ÖVP, die ihre katholischen Gruppen in einer erstaunlichen Weise schon seit längerer Zeit gegenüber den National-Liberalen in der Partei „links“ liegen läßt.

Befürchtung von links

Auch auf sozialistischer Seite macht man sich Gedanken über die Folgen einer so unorganischen Kooperation mit rechts. Der Appell des ehemaligen

Es dient, rät und hilft die

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Justizministers Dr. Tschadek zur weiteren Zusammenarbeit ist ebenso in Erinnerung wie Rosa Jochmanns (einsamer) Protest in der Euphorie des Parteitages. Und im eben erschienen Juli-Heft der sozialistischen Zeitschrift für Politik, Wirtschaft und Kultur „Die Zukunft“ schreibt Walter Hacker unter dem Titel „Von der Koalition zur Kollision?“ unter anderem:

„Und vollends erachten wir ein Aufgeben des großen, repräsentativen Koalitionspartners für politisch unklug, ja verwerflich, solange dies das Zusammengehen mit einer Zwergpartei bedeuten würde, in deren Leitungen und Vertretungen noch immer die SS-Führer von einst, die illegalen Nazi und SA-Führer, die mit Mühe und Not amnestierten Hochverräter, die Blutordensträger und Träger der .Ostmarkmedaille' für den Mord an Österreich, die Reichspropagandaredner, die Nazirechtslehrer und die Gauinspekteure sitzen.“

Und Josef H i n d e 1 s sekundiert dieser Meinung in demselben Heft („Die große Chance des Sozialismus“) wenige Seiten später:

„Zunächst eine grundsätzliche Feststellung, die jeder österreichische Patriot verstehen und billigen müßte. Die Aufwertung einer deutschnationa-len'Partei ist aus Staats- und neutralitätspolitischen Gründen mehr als bedenklich. Schließlich ist es doch kein Geheimnis, wie die FPÖ über Österreichs Selbständigkeit, die Existenz einer österreichischen Nationalität, die Neutralität und den Staatsvertrag urteilt... ein nur vorübergehend taktisches Bündnis mit der Partei der Ehemaligen und Unbelehrbaren ist daher aus moralischen Gründen abzulehnen. Und wie so oft gibt es uauch ln&*kimtn Gegensaf% '/äwftttien %Moral und ricfttig verstandener/Realpolitik. Wer “ffi der Aufwertung der FPÖ bloß ein taktisches Manöver erblickt, möge folgendes bedenken. Wenn wir heute —, und das ist leider in Leitartikeln der „Arbeiter-Zeitung“ geschehen —, diesen unverbesserlichen Deutschnationalen bestätigen, daß sie brave .Liberale' seien, dann läßt sich ein solches Leumundszeugnis auch in einer veränderten taktischen Situation nicht wieder rückgängig machen, z. B. im Fall eines Bürgerblocks ÖVP-FPÖ. Mit scheinbarem Recht könnte dann die ÖVP erklären: Was ist schon dabei, wenn wir mit der liberalen FPÖ eine Regierung bilden?

Aber gibt es nicht gemeinsame Interessen zwischen uns und den .Freiheitlichen ? Im Kampf gegen den Klerikalismus? Diese Fragestellung ist reichlich antiquiert. Die tiefreichenden Wandlungen im Katholizismus erfordern eine vorurteilslose Überprüfung unserer Beziehungen zur katholischen Kirche ...

Für Österreichs Sozialisten, die in den KZ und Gaskammern des Dritten Reiches ihre Besten verloren haben, muß es Grenzen der Taktik geben, die nicht überschritten werden dürfen . . .“ *

Heute noch Fragen, Fragen. Hüben und drüben. Morgen vielleicht schon wird die Antwort darauf gegeben.

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