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Römantizismen und Fakten

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Nach außen sind es freilich vor allem weltanschauliche Bestimmungsgründe, welche die sozial und regional verschiedenen Gruppen, die dreiviertel Million Menschen, die sich als Mitglieder zur ÖVP bekennen, zu einem formellen Ganzen zusammenfassen. Die Summe der parteipragmatischen Verhaltensweisen rechtfertigt jedoch immer mehr den Schluß, daß die ÖVP immer noch eine Wirtschaftspartei ist und in erster Linie auch so verstanden werden will. So gut wie jede soziale und wirtschaftliche Maßnahme, welche die Partei ergreift, wird daraufhin geprüft, welche Wirkungen sie auf die „Wirtschaft“ haben kann. Dadurch kommt es zu einer starken Bindung des politischen Handelns, das oft bedenklich kommerzielle Erwägungen widerspiegelt. Dieser Tatbestand wird durch einen deklamatorischen Sozialromantizismus notdürftig überdeckt.

Die sogenannte „Parteiideologie“ — gemeint sind die proklamierten Grundsätze — ist trotz OeAAB und Bauernbund das, was man, ohne je einen Definitionsversuch unternommen zu haben, eine „bürgerliche Weltanschauung“ nennt. Diese Tatsache wird oft deswegen übersehen, weil die „Ideologie“ des „Bürgertums“, eine Summe von in Ideen übersetzten Interessen, mit dem Christlichen identifiziert wird. Die Parteipraxis ist in ihrem Kern von Gedanken bestimmt, die der Wirtschaftsbund ohne Abstrich zu den seinen rechnen kann. Dabei wird jedoch keineswegs die ökonomische Wirklichkeit der Gegenwart programmatisch und in der Parteipraxis voll eingefangen.

Die Bauern treiben, unberührt von dem, was auf höchster Parteiebene gedacht und getan wird, manchmal eine eigenständige Politik und können dies um so eher tun, als sie, von klugen Praktikern geführt, auch mit Links leichter ein Arrangement zu finden vermögen als die anderen Gruppen. Aus diesem Grund fühlen sie sich zwar an gemeinsame Grundsätze gebunden, glauben aber, das Gefühl einer Gemeinsamkeit im Prinzipiellen in der Praxis nicht übertreiben zu müssen.

Der OeAAB, dem es in den ersten Stunden der Zweiten Republik, da es wenig „Wirtschaft“ gab, gelungen war, die Partei entscheidend zu beeinflussen, ist heute keineswegs machtlos, wie vielfach vermutet wird. Dagegen steht bei allem Wohlwollen fest, daß es der OeAAB bisher nicht vermocht hat, sich in der Partei jenen Einfluß zu verschaffen, der seiner Mitgliederstärke und auch der Tatsache, daß er neben den Bauern den Rest des christlich-sozialen Erbes verwaltet, entspricht. So ist auch der Arbeitnehmerflügel nur durch einen einzigen Minister repräsentiert, der außerdem ein sozial nicht sehr belangreiches Ressort verwaltet. In dem Präsidenten des Nationalrates, Dr. Maleta, hat der OeAAB allerdings einen Obmann, dessen politische Erfahrung und Geschick einer Aufwertung des „linken Flügels“ in der Zukunft noch zugute kommen könnte.

Die SPÖ bedrohte zeitweilig die ÖVP in Reden und mit Verwaltungsmaßnahmen in einer Weise, die vielen Demokraten unseres Landes zuminlest erstaunlich schien. Es war, als ob sich der Bürgerkrieg von 1934 unter änderen Bedingungen dreißig Jahre später fortsetzen sollte.

Durch die Bedrohung seitens der 3PÖ hatte aber die ÖVP eine organisatorische Festigung erfahren, welche iie kühnsten Hoffnungen der sogenannten „Reformer“ der Partei weit übertraf. Angst macht bei vielen Menschen Gesinnung oder bestärkt sie in einer ohnedies vorhandenen Gesinnung. Der Gegner wird so zum Zwangsreformer. Man hat aber auch ingesehen, daß die Koalition nicht allein eine lästige Verpflichtung ist, sondern daß sie offenkundig und auf etliche Jahre hinaus noch immer die beste Form darstellt, in der die großen politischen Probleme unseres Landes bewältigt werden können. In der Stunde der Angst erfuhr man in der ÖVP aber auch, daß die FPÖ keineswegs eine „bürgerliche“ Partei, sondern bestenfalls als linksnational im Sinn der Ideen der Brüder Strasser anzusehen ist, kaum vergleichbar mit der FDP. Anderseits erkennt man jetzt, reichlich spät, daß man sich nach 1945 zwar sehr und in nicht immer delikater Weise um die „Ehemaligen“ bemüht hat, nicht aber um die „Weifen“, um die Nationalkonservativen, die es auch in Österreich gibt, eine Gruppe von Menschen, die nicht auf Preußen, sondern in einem gehobenen Sinn auf ein „besseres“ Deutschland hin fixiert waren. Mit dem Wegfall der Angst als Bindemittel, aber auch als Folge der Liquidation des „Vaterkomplexes“ durch den Tod von Julius Raab, ist ein neuerlicher Prozeß der Desintegration der Partei diktiert worden, der ihre Strukturen, ihre notdürftig aneinandergefügten Teile überdeutlich erkennen läßt. Mangels einer Alternative — und weniger aus Angst — bleibt aber die Partei als Gelegenheitsgesellschaft bestehen.

Die ÖVP hatte bis Jänner Chan^ cen, die sich ihr seit 194$ nicht mehr geboten hatten. Die SPÖ ging 1962 mit dem Slogan in den Wahlkampf, daß eine Zusammenarbeit der großen Parteien geboten sei. Alle Propaganda von links war gegen die Möglichkeit der Alleinherrschaft einer Partei gerichtet. Die nicht unberechtigte Angst vor den Folgen einer solchen Alleinherrschaft wurde nun in der Bevölkerung in einer Weise ernstgenommen, die der SPÖ keine Freude machen konnte. Der Versuch der Sozialisten, über die FPÖ an die Spitze der Regierung zu kommen, wurde vielfach als Versuch der Errichtung der Alleinmacht einer Partei verstanden. Niemand nimmt an, daß die FPÖ je die SPÖ an der Durchsetzung ihrer Ziele hindern könne, trotz allem, was den Freiheitlichen versprochen wurde.

Wenn nun die ÖVP viele der Chancen, die ihr kostenlos von der SPÖ dargeboten werden, nur unzureichend nützen kann, so einmal deswegen, weil die Partei darauf festgelegt ist, daß alles Heil nur in einer besitz-bürgerlichen Gesellschaftsordnung zu finden sei. Dadurch aber riegelt sich die Partei von jenen Menschen ab, die, durch den sozialistischen Wortradikalismus abgestoßen, durchaus geneigt wären, sich für die ÖVP zu entscheiden, dies aber wegen einer Bindung an bestimmte ökonomische Interessen nicht tun können. Und wollen.

Unbestritten ist die ÖVP eine demokratische Partei. Es ist unfair, anderes zu vermuten und die nichl immer taktisch klugen romantischer Proklamationen von „Parteiideologen“ als dem Wesen der Partei entsprechend zu bezeichnen. Dagegen ist die ÖVP nach innen kaum ein demokratische Partei. Wäre dies dei Fall, hätte es nicht zur formloser Art, wie die Ablöse von Gorbach erfolgt ist, kommen können. Es gibt sc gut wie keine offen ausgetragene innerparteiliche Kritik. Wenn jemanc in der ÖVP die Partei oder einen ihrei Führer zu kritisieren wagt, danr gilt er vorweg als „Parteifeind“ Jede Kritik ist des Teufels. Wer ir der ÖVP hatte seinerzeit den Mut etwas gegen die unsinnig geregelten Ministerpensionen zu sagen; wer hat je in der Partei Stellung gegen die Häufung von Ämtern und dementsprechenden Einkünften bei einzelnen Funktionären beziehen dürfen? Wem war es gestattet, die mitunter vom Kurs einer christlichdemokratischen Partei bedenkliche „Rechtsabweichung“ der Partei zu kritisieren? In der Öffentlichkeit natürlich, denn im stillen Kämmerlein kann man nicht wenig kritische Stimmen hören.

Gerade in einer Zeit, in der sich das politische Leben auch unseres Landes an die großen politischen und sozialökonomischen Prozesse in der Welt anzupassen hat, bedarf die noch immer größte Partei unseres Landes eines neuen Selbstverständnisses. Die ÖVP muß sich dessen bewußt werden, ob sie nun endgültig eine besitzbürgerliche Partei bleiben will oder ob sie geneigt ist, da fortzusetzen, wo Lueger 1910 aufgehört hat und der Verbürgerlichungsprozeß der Christlichsozialen unter Gessmann begonnen hatte. Das heißt: Die Volkspartei soll nun in einer Art von Selbstbefragung feststellen, ob sie tatsächlich Volkspartei sein oder nur den Namen einer solchen als wirksame Etikette tragen will.

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