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Unerschütterte Positionen

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Ihr Einfluß bedeutet formal keine Einschränkung des Führungsanspruches der Partei und stellt auch formal das Unfehlbarkeitsdogma nicht in Frage. Es bleibt weiterhin unbestritten, daß sich in der Sowjetunion keine andere politisch-weltanschauliche Macht neben und gegen den Kommunismus, auch nicht auf der Basis des fairen Wettbewerbes, organisieren darf. Jede Meinung, die geäußert wird, muß als Entwicklung des Kommunismus gedeutet werden können (in diesem Sinne ist auch die Selbstkritik zu verstehen) oder sie bleibt unbekannt, weil sie nicht an die Öffentlichkeit dringen kann. Das Monopol der Partei auf die ideologische Kontrolle, ja sogar auf die „Leitung des gesamten geistigen Lebens in der Sowjetunion bleibt, auch formal, unangetastet. Sie soll noch verstärkt werden. Toleranz bleibt ein Tabu.

Fraglich ist, wie gezeigt wurde, die ideologische Reinheit von konkreten politischen und wirtschaftlichen Richtlinien und auch die Methode, wer in der Sowjetunion und im kommunistischen Lager im allgemeinen über diese Gültigkeit zu befinden hat.

Ein Paradebeispiel für diese Problematik ist die heftiger als in der Sowjetunion geführte wirtschafts-politische Diskussion, die den nun eingeleiteten Reformen in der Tschechoslowakei vorangegangen ist. Die Liberalisierung erstreckt sich in der CSSR auf alle Zweige der Volkswirtschaft unter Wahrung des richtunggebenden Regulativs der Partei.

Bezeichnend für die Wichtigkeit der Kompetenzfrage ist auch der Umstand, daß es in der Sowjetunion keine verbindliche Regelung über die Einsetzung des ersten Parteisekretärs, über seinen Tätigkeitsbereich und seine Kompetenzen und auch nicht über seine Absetzung gibt. Das Bekenntnis es gegenwärtigen Teams zum Prinzip der kollektiven Führung schließt eine institutionelle Regelung dieser Frage in sich und erschwert den Rückzug zu einem Monozentrismus, wie ihn Stalin geschaffen und Chruschtschow weitgehend ausgeübt hat. Die Auffächerung der Einheit durch einen, wenn auch beschränkten, echten Pluralismus, der in der Sowjetunion innerhalb der kommunistischen Bewegung nun zu Tage trat, bereitet der Partei gewiß schwere ideologische Probleme. Das Bekenntnis zur „leninistischen Generallinie deutet eine Lösung an. Außer der Treue zum Prinzip des gesellschaftlichen Eigentums an den Produktionsmitteln und seiner Durchsetzung in er Welt unter der Führung der kommunistischen Parteien ist alles so formal bestimmt (Opportunismus, planmäßig wissenschaftlich begründeter Charakter der Führung und ähnliches mehr), daß die Vertreter aller kontroversen Standpunkte sich auf sie berufen können. Der Ausweg hieße demnach, Marxismus-Leninismus wird dasjenige sein, was sich aus dem differenzierten Kräftespiel der sowjetischen Gesellschaft ergibt. Es umfaßt heute schon mehr, als es sich die beschränkte Phantasie der um die Reinheit der Lehre besorgten Berufskommunisten noch vor einigen Jahren auszumalen vermochte.

Das Schicksal der kollektiven Führung hängt davon ab, ob das gegenwärtige Team die Breite der schöpferischen Initiative, Kritik und relative Selbstbestimmung als Chance für die eigene Sache fördert oder ob es diese als Gefährdung betrachtet.

Es wird ferner davon abhängen, wer schneller ist: die skrupellos aggressive Provokation der wirtschaftlich schwachen orthodoxen Marxisten in Peking oder die erfolgreiche Entwicklung einer starken differenzierten industriellen Gesellschaft im Osten Europas. Diese gibt den Tendenzen einer Institutionalisierung des innerkommunistischen Pluralismus das ausschlaggebende Gewicht.

Sein Erfolg wäre, trotz der Herausforderung an den Westen, dennoch für diesen und für die übrige Welt wünschenswerter, weil von den beiden Alternativen, nukleare Weltvernichtung oder kooperative Koexistenz, die letztere größere Chancen hätte.

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