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Aktuelles von gestern

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Für den Umstand, daß die Erneuerungs-Diskussion der ÖVP auch nicht viel jünger als die Partei selbst ist, kann Staatssekretär a. D. Karl Pisa als Kronzeuge angerufen werden. Nach der Wahl vom 10. Mai 1959, bei der die Sozialisten die ÖVP an Stimmen überrundeten, verfaßte er gemeinsam mit Gottfried Heindl (zu jener Zeit Geschäftsführer der ÖVP) und dem damaligen ÖVP-Organisationsreferenten Matthias Glatzl ein 30 Seiten starkes Reform-Papier: „Die Zukunft der Partei.“ Die bereits 1959 erkannten Problemstellungen haben teilweise - zum Nachteil der betroffenen Partei - nichts an Aktualität eingebüßt. Hier einige Kostproben:

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Für den Umstand, daß die Erneuerungs-Diskussion der ÖVP auch nicht viel jünger als die Partei selbst ist, kann Staatssekretär a. D. Karl Pisa als Kronzeuge angerufen werden. Nach der Wahl vom 10. Mai 1959, bei der die Sozialisten die ÖVP an Stimmen überrundeten, verfaßte er gemeinsam mit Gottfried Heindl (zu jener Zeit Geschäftsführer der ÖVP) und dem damaligen ÖVP-Organisationsreferenten Matthias Glatzl ein 30 Seiten starkes Reform-Papier: „Die Zukunft der Partei.“ Die bereits 1959 erkannten Problemstellungen haben teilweise - zum Nachteil der betroffenen Partei - nichts an Aktualität eingebüßt. Hier einige Kostproben:

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Die Politik der nächsten Jahre darf nicht einfach auf einigen Parolen und Urteilen über die Entwicklung aufbauen, die ohne exakte Begründung nur aus dem allgemeinen Eindruck gewonnen wurden.

Vorschlag: Durchführung sozio-graphischer Untersuchungen über den Umfang und die Ursachen des SPÖ-Vormarsches auf dem Lande, die Tatsächlichkeit der Sättigung der SPÖ-Stimmenzahl im Industriegebiet, die Grundlinien des Verhaltens der Wähler in den Gemeinden unter 2000 Einwohner, die tatsächlichen Wandlungen in der Sozialstruktur, die Berufstruktur der nach Westen abwandernden Wahlberechtigten, die Lage in den unterentwickelten Gebieten, die nicht vom Wohlfahrtsstaat erfaßten Gruppen unter Heranziehung des statistischen Zentralamtes, des Institutes für Sozialpolitik und des Soziologischen Institutes der Universität.

Laufende Uberprüfung des An-kommens unserer Politik bei einzelnen Wählergruppen mit Hüfe von Gruppen-Tests.

Die Arbeitnehmer sind das Wählerreservoir, aus dem wir einen Ausgleich für die zwangsläufig eintretenden Verluste durch die Landflucht, Selbständigen-Pensionierung usw. ausgleichen müssen. Viel wird davon abhängen, ob man einen Mann wie seinerzeit Kunschak herausstellt, der milieugerecht wirkt und glaubhaft macht, daß die Sorgen der kleinen Leute auch die seinen sind.

Sofort zu überprüfen ist das Verhältnis ÖAAB - ÖGB, wo sich derzeit alle Schlüsselpositionen in sozialistischen Händen befinden. Sofort zu überprüfen wäre ferner die Möglichkeit eines Einstellungsgesetzes für ältere Angestellte ähnlich dem Jugendeinstellungsgesetz.

Bei den unterentwickelten Gebieten ist das Burgenland zum Schwerpunktgebiet der Partei zu erklären ... Prominente Persönlichkeiten der ÖVP müssen sich zur Erstellung eines Sofortprogrammes an Ort und Stelle in das Burgenland begeben.

Das Problem des Dorfes ist zu vielschichtig geworden, um allein vom Bauernbund und der Agrarpolitik gelöst zu werden. Es ist ein echtes Anliegen der Gesamtpartei, der es zu denken geben muß, daß Dorfbewohner in der Stadt politisch infiziert werden, nicht aber umgekehrt Städter auf dem Land.

Da ein Drittel unserer Bevölkerung noch immer in Gemeinden unter 2000 Einwohner wohnhaft ist, wäre es durchaus angemessen, einen außerordentlichen Parteitag unter dem Motto „Die Volkspartei und das Dorf anzusetzen, der den Charakter einer großen Enquete haben und sich mit den soziologischen, kommunalpolitischen, agrarpolitischen, sozialpolitischen und' kulturpolitischen Aspekten des Dorfes zu befassen hätte.

Die ÖVP ist seit dem 10. Mai nicht nur die an Stimmen schwächere Partei, sie ist auch die organisatorisch weniger schlagkräftige und außerparlamentarisch ohne Druckmittel wie zum Beispiel ÖGB operierende Partei. Für diese Lage gibt es - militärisch gesprochen - nur eine Taktik: bewegliche Verteidigung, die aber nur dann möglich ist, wenn man auch den Mut hat, den erkannten Aufmarsch des Gegners mit Gegenstößen (- eigenen Forderungen) rechtzeitig oder zumindestens an anderen, schwachen Stellen zu stören. -

Grundvoraussetzung einer solchen Taktik ist aber, daß man die Front tatsächlich in ihrer gesamten Breite überschaut und einen Überblick über alle verfügbaren Mittel hat. Nur dann läßt sich eine Eingreifreserve bilden und einsetzen.

Im Zeitalter der modernen Mas-senbeeinflußungsmittel, wie Bild-Presse, Rundfunk, Wochenschau und Fernsehen wird die Politik einer Partei immer stärker durch die von ihr herausgestellten Persönlichkeiten repräsentiert. Dies ist keine Frage des Personenkults, sondern eine Konsequenz des visuellen Zeitalters, in dem die Massen angesichts einer nicht mehr überschaubaren Fülle von Eindrücken und Problemen eine -Verkörperung ihrer Hoffnungen brauchen.

Ein „Vater des Vaterlandes“, ein „Hüter der Währung“ sind nach wie vor unentbehrliche Personifizierungen. Darüber hinaus sollte aber auch das Moderne und Kämpferische der Partei und ihre Schutzfunktion gegenüber den kleinen Leuten stärker personifiziert werden. Der gut geschulte Vertrauensmann, der den Wähler tagtäglich zu überzeugen und zu betreuen versteht, ist der billigste Propagandist der Partei.

Die Schlagkraft unserer Parteiorganisation hängt davon ab, ob zwischen Parteiführung und der großen Masse der kleinen Funktionäre in den Lokalorganisationen und Betriebsgruppen ein lückenloser und rasch pulsierender Kreislauf hergestellt werden kann, der von oben nach unten Aufgaben stellt, Hilfe für die Erfüllung dieser Aufgaben leistet und ihre Durchführung überwacht und von unten nach oben nicht nur Vollzugsmeldungen, sondern auch Korrekturen der Lagebeurteilung und Vorschläge entgegennimmt.

Eine Erhöhung der Schlagkraft wird also erzielt werden, wenn man systematisch alle Lücken und Hemmungen in diesem Kreislauf beseitigt, mit größerem Nachdruck mehr Aufgaben stellt, mehr Hilfe leistet und mehr überwacht, aber auch mit größerer Bereitwilligkeit Kritik und Vorschläge zur Kenntnis nimmt.

Vorschlag: Erhöhung der Schlagkraft der Führung! Die Stellung des Bundesparteiobmannes und der Bundesparteileitung muß gegenüber den Landesorganisationen und den Führungen der Bünde gestärkt werden. Der Bundesparteiobmann muß die Möglichkeit eines Eingreifens innerhalb der Landesorganisationen im Falle von aktuellem Notstand auch real ausnützen.

Die Bünde müssen ihre Sonderinteressen zugunsten der Gesamtpartei zurückstellen. Der Apparat des Generalsekretariates muß unmittelbar über die Landespartei-, Bezirkspartei- und Ortsparteileitungen wirken können. Durch ein Zurückschrauben des bündischen Organisationsapparates könnten Einsparungen erzielt werden.

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