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Alles ist Autobiographie

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Aus Anlaß des 80. Geburtstages der 1912 in Köln geborenen Hilde Domin kommen zwei Prosabände heraus! „Gesammelte Essays" und „Gesammelte autobiographische Schriften": aus früheren Büchern Bekanntes, ergänzt durch bisher unveröffentlichte oder zumindest ungedruckte Äußerungen der hochangesehenen Autorin, die seit bald vier Jahrzehnten präsent ist in Zeitschriften, Anthologien, bei Tagungen, als Laudator für Preisträger, mit Dankreden für erhaltene Auszeichnungen, mit vor- und Nachworten für Ausgaben anderer Autoren und natürlich vor allem als Lyriker - spät, aber doch -, beginnend 1959 mit dem inzwischen berühmten Gedichtbuch „Nur eine Rose als Stütze", dem weitere Versbände folgten, „Rückkehr der Schiffe", „Hier" und „Ich will dich", alle nicht nur viel gerühmt, sondern auch viel gelesen.

Erst mit neununddreißig Jahren -sie hat es oft genug, noch im Rückblick staunend, mitgeteilt - hat sie spontan, ebenso überrascht wie überraschend, ihr erstes Gedicht geschrieben, als Emigrantin in der Karibik,

„da stand ich auf und ging heim, in das Wort." Und zwar in das deutsche Wort, mitten im spanischen Sprachbereich, aus Deutschland verbannt. Wenn sie später behauptet, „Ich kam erst 1951 auf die Welt", so ist das eine ebenso paradox treffende Pointe wie der Titel des Erinnerungsbuches 1974: „Von der Natur nicht vorgesehen". Denn wer reist schon, mittelos, kreuz und quer durch Europa und nach Amerika flüchtend, mit tausenden Büchern im Gepäck und läßt sich in Santo Domingo nieder?

Anwalt des Richtigen

Von früher Kindheit an war diese Tochter eines Rechtsanwaltes von der Natur vorgesehen für Literatur aller Art, erlesen, aber auch, wie sie es später wurde und bis heute blieb: publizistischer Anwalt des Richtigen und für zu unrecht Verfolgte.

Bereits die Voraussicht der Zwanzigjährigen war erstaunlich: Sie ging 1932 nach Italien, also noch vor der ominösen Machtergreifung 1933, promovierte und heiratete dort, mußte freilich weiter, unter dem Zwang der NS-Fern Wirkung, bei einem meist ärmlichen Alltag reiche Lebenserfahrung sammelnd. Erst nach einigen Probebesuchen (ab 1954) ließ sie sich

1960 endgültig in Heidelberg nieder.

Wenn man die zwei hier in Rede stehenden Prosabände überdenkt, nach der Lektüre rückblickend, kann man resümierend sagen: Lauter Bekenntnisse, direkt oder indirekt autobiographisch, in Vers und Prosa. Beides, weil Hilde Domin reichlich Gedichte zitiert und interpretiert, sowohl eigene wie auch fremde, mit denen sie sich angefreundet hat. Sogar Interpretationen interpretiert sie, richtigstellend, wenn sie eine Passage für nicht absolut gelungen findet.

Sie lernte immer gut, lernte alles kennen, hier und anderswo, und alle lernten Hilde Domin kennen. Sie ist längst allgemein anerkannt, als Mensch, als Denker und souveräner Poet. Ihr Wissen wie ihr Können sind universal, auch entwaffnend: Wo man - hie und da, aber selten - lieber anderer Meinung* wäre, bliebe das simple Meinungsverschiedenheit, auf die es nicht mehr ankommt. Dominant behauptet sich das rhetorische Niveau ihrer Behauptungen, das eben nie bloße Rhetorik, sondern immer vergeistigt ist.

GESAMMELTE ESSAYS. 411 Seiten, öS 327,60. GESAMMELTE AUTOBIOGRAPHISCHE Schriften. Von Hilde Domin. 352 Seiten, öS 327,60 Beide: Verlag R. Piper, München/Zürich 1992.

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