Dieser FURCHE-Text wurde automatisiert gescannt und aufbereitet. Der Inhalt ist von uns digital noch nicht redigiert. Verzeihen Sie etwaige Fehler - wir arbeiten daran.
Ein paar Lehren aus Deutschland
„Drei Jahre nach seiner Wiedervereinigung steckt Deutschland in einer Krise”, befand dieser Tage auch die ehrwürdige Zudhtmeisterin „FAZ”, nachdem der forsche „Spiegel” schon zuvor den „Hammer der Zerstörung” über dem Osten Deutschlands hatte wüten sehen. Die Stimmung sei mies wie nie zuvor, das Unheil nehme seinen Lauf gleich einer antiken Tragödie.
Ein Besuch in der ehemaligen DDR überrascht demgegenüber positiv, auch wenn sein oberflächlicher Charakter nicht verschwiegen werden darf. Die Menschen sind viel freundlicher als im Westen. Überall wird gehämmert, gegraben und gebaut, Denkmalschutz betont forciert. „Herzeigeprojekte”, mag man einwenden - aber hätte man die verkarsteten Industrien einer mißratenen Vergangenheit weiterpäppeln sollen?
Daß in diesen drei Viertel der Arbeitsplätze verlorengingen, über vier Millionen an der Zahl, trifft die Opfer klarerweise schwer. Daß viele von ihnen und alte Menschen, die sich um den Rest ihrer Lebenshoffnung betrogen fühlen, zur Resignation neigen, versteht man gut. Aber die Jüngeren, die Arbeit haben, geben zu, daß es ihnen schon heute besser geht. Wo wächst die Wirtschaft schon, wie heuer in der einstigen DDR, um über fünf Prozent?
Natürlich hat die Rezession das Reifen der Früchte Schumpeter-scher „schöpferischer Zerstörung” stark verzögert. Aber sie hängen schon auf dem Baum. Und schwerer erträglich als materielle Übergangsnot ist zweifellos die Anmaßung westdeutscher Schulmeister („Besser-Wessis”) im Land zwischen Ostsee und Thüringer Wald.
„Als ob wir nichts in die deutsche Einheit eingebracht hätten!”, klagt die Reiseführerin in der alten Kulturmetropole Dresden, die Zwinger und Sempergalerie, katholische Hofkirche und Semperoper aus 18 Millionen Kubikmetern Trümmerschutt wiedererrichtet hat. Die städtebauliche Pracht der Fachwerkbauten von Erfurt, Eisenach und Weimar (Osten) steht der von Marburg oder Alsfeld (Westen) nicht nach: 45 Jahre Barbarei tilgen 450 Jahre gemeinsamen Wachsens gottlob nicht.
Die historischen Lehren einer solchen Reise drängen sich in fast vulgärer Weise auf. Wartburg bei Eisenach, bekannt durch Sängerstreit, Wirken der heiligen Elisabeth und Übersetzung der Bibel ins Deutsche durch Martin Luther: Läßt sie ein Vergessen zu, daß ohne Kunst, Wissenschaft, Religion und soziales Gewissen Wirtschaft und Technik fruchtlos bleiben müssen?
Weimar mit seinen großen Namen deutscher Geistesgeschichte, von Goethe und Schiller über Lucas Cranach bis J. G. Herder: Das einstige Hitler-KZ von Buchenwald war nur wenige Kilometer vom Musentempel des Humanismus entfernt.
Der Fortschritt der Menschheit ist ein unablässiger Seilakt ohne Netz. Aber irgendeiner hat das Seil gespannt. Und er weiß wohl auch, daß er nicht vergeblich am anderen Ende warten muß.
Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.
In Kürze startet hier der FURCHE-Navigator.
Steigen Sie ein in die Diskurse der Vergangenheit und entdecken Sie das Wesentliche für die Gegenwart. Zu jedem Artikel finden Sie weitere Beiträge, die den Blickwinkel inhaltlich erweitern und historisch vertiefen. Dafür digitalisieren wir die FURCHE zurück bis zum Gründungsjahr 1945 - wir beginnen mit dem gesamten Content der letzten 20 Jahre Entdecken Sie hier in Kürze Texte von FURCHE-Autorinnen und -Autoren wie Friedrich Heer, Thomas Bernhard, Hilde Spiel, Kardinal König, Hubert Feichtlbauer, Elfriede Jelinek oder Josef Hader!