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Historiker des Josephinismus

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Kaum war Msgr. Otto Mauer begraben, erlitt der österreichische Katholizismus einen neuen schweren Verlust: Ferdinand Maaß SJ, Professor für Kirchengeschichte an der Katholischen Fakultät der Universität Innsbruck, erlag am 15. Oktober den Folgen eines Autounfalls. Wie Ludwig Freiherr von Pastor in der Erinnerung fortlebt als der Geschichts-schreiiber der Päpste, und Heinrich Ritter v. Srbik vor allem als der große Biograph Mettennichs, so wird Ferdinand Maaß für immer seinen Namen haben als der Geschichtsschreiber des Josephinismus oder, vielleicht noch richtiger gesagt, als

jener, der endgültig die Quellen über den Josephinismus entdeckte und herausgab. Keine andere geistige Bewegung hat seit der Reformation die .moderne Kirchengeschichte so beeinflußt und das Antlitz der Kirche in Österreich geformt wie der aus dem aufgeiklärten Rationalismus hervor-

gegangene Josephinismus. Unter diesen Namen fällt die große Reformbewegung in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, die vor allem im kirchlichen Bereich ein neues Verhältnis zwischen Kirche und modernem Staat gebracht hat. Der Josephinismus selbst ist in seinen Auswirkungen bis in die Gegenwart spürbar, ist doch die fortschreitende Laisierung des öffentlichen Lebens eine seiner sichtbarsten und einschneidendsten Auswirkungen. Das kirchenpolitische System, das damit geschaffen worden war, bildete bereits vielfach den Gegenstand wissenschaftlicher Erörterungen und fand, je nach der weltanschaulichen Grundeinstellung des Verfassers, Zustimmung oder Ablehnung, beeinflußte die Stellungnahme und Beurteilung. Die grundlegende Frage nach dem Wesen und den Fundamenten des Josephinismus blieb aber In allen diesen Werken ungelöst. Ferdinand Maaß, Jesuit, Theologe und Historiker, unternahm in seinem großen fünfbändigen Werk „Der Josephinismus“, das ab 1950 innerhalb der Reihe „Fontes rerum Austriaca-rum“, die die Wiener Akademie der Wissenschaften betreut, herauskam, den Versuch, an die Lösung dieser für das Verständnis der modernen Kirchen- und Staatengeschichte so bedeutsamen Frage mit den objektiven Mitteln wissenschaftlicher Quellenforschung heranzugehen. Mit unendlichem Fleiß und mit unendlicher Akribie durchforschte er durch Jahre die Archive und edierte die auf den Josephinismus bezogenen Akten. Erst seit dieser großen Quellenpublikation weiß die Welt, daß Staatskanzler Kaunitz der eigentliche Motor der josephinischen Reformbewegung innerhalb der Habsburgermonarchie war. Erst seit Maaß weiß die wissenschaftliche Welt, welche bedeutende Rolle Hofrat Hemke, der Referent für kirchliche Angele-

genheiten, innerhalb der Monarchie spielte. Erst seit der Quellenpublikation über den Josephinismus durch Ferdinand Maaß wissen wir, welche Rolle Metternich seit 1820 im Abbau des josephinischen Staatskirchensystems zukam, wie sehr Kaiser Franz nach seinem Besuch in Rom im Jahr 1819 dieses System preisgab und in welcher Weise der junge Franz Joseph dieses System endgültig liquidierte. Ferdinand Maaß war Theologe und Historiker. Unter diesen beiden Gesichtspunkten betrachtete er den Josephinismus. Als katholischer Theologe verurteilte er die theologischen Irrtümer dieses staatskirchlichen Systems. Als Historiker äußerte er oft unverhohlene Anerkennung über die Leistungen des Josephinismus auf dem Gebiete der Administration. Niemals sei die Kirche in Österreich so gut verwaltet gewesen wie zur Zeit des Josephi-

nismus, sagte er einmal zu mir. Auch vor den sozialen Leistungen des Josephinismus bezeugte er einen tiefen Respekt. Einen tiefen Groll hegte er nur gegen Maria Theresia. In der großen Auseinandersetzung zwischen Kirche und Staat im 18. Jahrhundert, die durch die Aufklärung entfesselt worden war, war auch der Jesuitenorden unter die Räder gekommen. 1773 wurde er durch den Papst aufgehoben. Durch seine Studien erkannte Ferdinand Maaß, daß eigentlich Maria Theresia durch ein entschiedenes Nein die Auflösung des Jesuitenordens hätte verhindern können. Aber aus staatspolitischen und wohl auch familien-politischen Gründen hat sie dieses Nein nicht gesprochen und somit das Schicksal des Jesuitenordens besiegelt. Diese Haltung verzieh ihr Ferdinand Maaß nie und sein Groll über die Kaiserin ließ ihn manchmal ihre sonstigen großen Leistungen nicht richtig beurteilen. Aber dieser kleine Schatten wird niemals seine große Leistung, die in der Herausgabe der Akten über den Josephinismus besteht, trüben können.

Sein Leben selbst ist rasch erzählt: Er wurde am 23. März 1902 als Sohn eines Tiroler Bauern geboren, trat 1921 in den Jesuitenorden ein und studierte dann Philosophie und Theologie, sowohl in Pullach bei München, wie auch in Innsbruck. 1931 wurde er zum Priester geweiht. 1933 begann an der Wiener Universität das Studium der Geschichte, Geographie und auch der Romanistik. Nach der Annexion promovierte er zum Doktor phil. 1939 wurde er auf Lebenszeit aus Tirol,gauverwiesen“. Er arbeitete dann bis 1945 in Wien, vor allem bei der Betreuung junger österreichischer und deutscher Jesuiten. 1947 habilitierte er an der Theologischen Fakultät der Universität Innsbruck. 1954 wurde er Extra-Ordinarius, 1964 Ordinarius. Ab 1950 gab er im Verlag Herold sein großes Werk über den Josephinismus heraus. Er war nicht nur ein unermüdlicher Aufspürer von geschichtlichen Quellen, sondern auch

erfolgreicher Aufspürer von Mäzenen. Wußte er doch, daß große wissenschaftliche Werke, die an sich kleine Auflagen haben, nur mit Hilfe bedeutender finanzieller Unterstützungen herausgebracht werden können.

1972 sollte er seine Lehrtätigkeit beenden, da er aber keinen Nachfolger auf der Hochschule besaß, mußte er ein weiteres Jahr lehren und hätte auch noch bis 1974 dozieren sollen. Im Mai 1973 erlitt er einen kleinen Schlaganfall, von dem er sich aber bald erholte. Bei einem Besuch in Wien wurde er nun das Opfer eines Autounfalls.

Ferdinand Maaß konnte noch erleben, welch großes Echo seine Quellenpublikation in der ganzen wissenschaftlichen Welt hervorgerufen hatte. Prof. Hantsch bezeugte ihm ausdrücklich, daß jetzt niemand mehr über den Josephinismus arbeiten könne, ohne sein großes Werk zu benützen.

Er seihst blieb sein Leben lang der einfache Tiroler Bauer, der seine Heimat und seine Kirche zutiefst liebte. Entsetzen ergriff ihn, den üef-gläubigen Jesuiten, manchmal, wenn er die neuen Entwicklungen in der Kirche und auch im eigenen Orden betrachtete. Manchmal erfüllte ihn tiefe Besorgnis und tiefe Skepsis. Aus dem Geschichtsstudium einerseits und aus seinem tiefen Glauben heraus aber wußte er, daß alle Gefahren überwunden werden können, wenn die Christen sich in dieser Welt nicht fürchten.

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