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Was bedeuten heute Josephinismus und Aufklärung?

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Sollte man nicht den Begriff des Josephinismus angesichts der Auseinandersetzung mit den neuesten Forschungsergebnissen zur österreichischen Geschichte des 18. Jahrhunderts, dem Jahrhundert Maria Theresias und Josephs II., überhaupt abschaffen? Dafür plädierte ein Teilnehmer bei dem Internationalen Symposion über Katholische Aufklärung — Josephinismus, das von 8. bis 10. Dezember 1977 in der Wiener Katholischen Akademie stattfand.

Die Thematik Katholische Aufklärung - Josephinismus erhält durch zwei Phänomene ihre besondere Aktualität: Innhalb der Historiographie zur österreichischen Geschichte des 18. Jahrhunderts kamen aus der Wiener Historischen Schule jene Impulse, durch die die „Mythen Josephinismus und Antijosephinismus“, wie sich der französische Historiker Roger Bauer ausdrückte, überwunden werden konnte. Das Faszinosum der Gestalt Kaiser Josephs H. und der mit ihr verbundenen Reformen, Gesetze und kulturellen Wandlungen im Österreich des 18. und 19. Jahrhunderts, sowie die daraus resultierenden Folgen löste Pro- und Kontra-Reaktionen, Apo-

theosen und Verurteilungen aus, die sich, beinahe mythologisch anmutend, durch die Geschichtsschreibung des

19. Jahrhunderts bis zur Mitte des

20. Jahrhunderts ziehen und Standpunkte wie Beurteilungen bestimmen. Man kann den „Mythos des Antijosephinismus“ zwar nicht in der monumentalen Quellenpublikation des österreichischen Kirchenhistorikers Ferdinand Maaß SJ (gestorben 1973), jedoch sehr deutlich in seiner die Dokumente zusammenfassenden und die Vorgänge beurteüenden Einleitung finden. Hier wurde ein sehr negatives Bild dieser Epoche gezeichnet, wie es bis 1970die meisten Enzyklopädien der Welt enthielten.

Durch die von der Quellenkritik bestimmten, exakt erarbeiteten Forschungen der Wiener Schule, die ihre Ergebnisse mit jenen der internationalen historiographischen Literatur konfrontierte und diskutierte, entstand eine sehr differenzierte und komplexe Sicht dieser Epoche der österreichischen Geschichte. Auch die sonst einseitig positiv beleuchteten Phänomene wurden im Kontext der Zeit und ihrer Möglichkeiten, mit ihren langfristigen positiven und ihren negativen Folgen dargestellt. Die Arbeiten des Wiener Historikers Adam Wandruszka über die Beziehungen zwischen Österreich und Italien im 18. Jahrhundert, sein zweibändiges Werk über Leopöld II. eröffneten einer jüngeren Historikergeneration Perspektiven und Horizonte, regten sie zu einer Serie von Detailforschungen an, die sachlich und emotionsfrei die Überwindung dieser Mythen anzei- gen. Als zuletzt erschienen ist das Buch des jungen Schweizer Historikers Peter Hersche. „Der österreichische Spätjansenismus“ zu nennen.

Als zweites Phänomen ist jene Umorientierung innerhalb der katholischen Kirche von einer durch die beiden Weltkriege zum Großteil zerstörten Vergangenheit auf eine im rasanten Wandlungsprozeß befindliche Gegenwart anzuführen. Die das Zweite Vatikanum mitbewirkende und mitvorbereitende neue Einstellung zu Wissenschaft und Forschung, die sich auch schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts gezeigt hatte, setzte sich durch. Neue Fragestellungen wurden möglich, neue Forschungen auch zum philosophischen Jahrhundert und zur Französischen Revolution provoziert, sie brachten nicht nur tiefere Einsichten, sondern auch andere, bis jetzt ungewohnte Beurteilungen. Die mit dem Anathem geprägten Siegel, die mit dem Verdikt Häresie erzeugten Urteile— sie hatten die genaue Sicht der einzelnen Ereignisse in ihren Zusammenhängen begrenzt, verstellt oder unmöglich gemacht - waren zerbrochen und aufgehoben.

Ein paradigmatischer Vertreter und Anreger neuer Fragestellungen und Forschungen seitens der theologischen Wissenschaften ist Abbė Bernhard Plongeron von der Sorbonne und dem Institut Catholique in Paris. Seine „Rėcherches sur l’Aufklärung catholique“, seine Bücher „Thėologie et po-

litique au siėcle des lumiėres“ (1770 — 1820), Genf 1973, und „La vie quoti- dienne du dergė au XVIII siėcle“, Paris 1974, zeigen zwar andere Forschungsmethoden und Programme als sie in Österreich jetzt üblich waren, sie haben jedoch mit ihren Ergebnissen und Ansichten eine Affinität und Korrelation zu jenen der deutschsprachigen Historiker. Auf dem Symposion der Wiener Katholischen Akademie wurden nun Plongerons Fragestellungen, Methoden und Programme erstmalig in Österreich von Experten für das 18. Jahrhundert diskutiert und konfrontiert. Die Historiker und Theologen keimen sowohl aus den deutschsprachigen Gebieten, als auch aus Ländern, die während des 18. Jahrhunderts zum Bestand der Österreichischen Monarchie gehörten. ‘

Plongerons Konzept für eine Erforschung der Katholischen Aufklärung erwächst aus der Verflochtenheit von Theologie und Politik während des 18. Jahrhunderts und aus den an vielen Details erkennbaren religiösen Phänomenen in den Bereichen des politischen, gesellschaftlichen, kulturellen Lebens. Diese zeigen bestimmte Beziehungen zur Offenbarung Jesu Christi und zur Lehre der katholischen Kirche, unterscheiden sich aber auch davon, ohne ihren eigentlich religiösen Charakter zu verlieren.

Erst wenn man wie auf einer großen Landkarte die geographischen Zentren, die wirtschaftlichen, soziologischen, kulturellen und theologischen Zusammenhänge der Reformbewegungen des 18. Jahrhunderts in Europa, aber auch in Nord- und Lateinamerika wissenschaftlich erforscht und erfaßt haben werde, könne man sagen, was „Katholische Aufklärung“ wirklich sei. Erst dann könne man erkennen, in welch spezifischen Beziehungen diese Reformbewegungen zur Botschaft des Evangeliums und zur Lehre der Kirche stünden, welche ek- klesiologische Entfaltung sie bewirkten.

Auch von diesem Forschungsansatz zeigte sich ganz eindeutig, daß das von Ferdinand Maaß so vertretene und apologetisch verteidigte negative Geschichtsbild des Josephinismus bereits zur Historie geworden ist, wenngleich betont werden muß; daß die große Leistung seiner Quellenedition unbestritten und für die weitere Erforschung dieser Zeit fundamental bleibt Es stellt sich unter den Aspekten Plongerons auch die Frage, inwieweit die mit den verschiedenen Begriffsinhalten kombinierten Termini wie Josephinismus, Reformkatholizismus oder Gallikanismus überhaupt noch sinnvoll gebraucht und beibehalten werden können oder ob man nicht in Plongerons globaler Konzeption nur noch von einer katholischen Aufklärung sprechen kann, die erst eine neue Historikergeneration werde erforschen können.

(Die wissenschaftliche Leitung des Symposions lag bei Univ.-Doz. Dr. Elisabeth Koväcs.)

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