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Die graue Eminenz

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Der Josephinismus. Von Ferdinand Maaß. Quellen zu seiner Geschichte in Oesterreich 1760 Ibis 1790. III. Band: Das Werk des Hofrats Heinke 1768 bis 1790. Fontes rerum Austriacarum. Zweite lAbteilung, Diplomataria et acta, 73. Band. Verlag Herold, Wien. 512 Seiten. Preis Leinen 180 S. br. 162 S

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Der Josephinismus. Von Ferdinand Maaß. Quellen zu seiner Geschichte in Oesterreich 1760 Ibis 1790. III. Band: Das Werk des Hofrats Heinke 1768 bis 1790. Fontes rerum Austriacarum. Zweite lAbteilung, Diplomataria et acta, 73. Band. Verlag Herold, Wien. 512 Seiten. Preis Leinen 180 S. br. 162 S

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Daß Kaiser Joseph II. nicht allein der geistige Urheber des Systems ist, das wir Josephinismus nennen, war wohl immer bekannt. Man versuchte zuerst, eine geistesgeschichtliche Verbindung, angefangen vom Eigenkirchentum, dem Rechtsinstitut der Advokatur und den landeskirchlichen Bestrebungen Rudolfs IV., des Stifters, bis zu den Ideen der Französischen Revolution festzustellen. In den letzten zwanzig Jahren hat man dagegen vor allem nach den Personen gesucht, die dem Geist des Josephinismus am kaiserlichen Hof Eingang verschafften und ihn zu fördern und zu stützen vermochten. Man nannte Beichtväter und Wissenschaftler als Förderer der neuen Kirchenpolitik.

Erst Maaß hat 1950 durch die Publikation des reichen Quellenmaterials aus dem Haus-, Hof- und Staatsarchiv über den Josephinismus zunächst die zentrale Bedeutung des Staatskanzlers Kaunitz aufgezeigt, der ein Bahnbrecher einer entschiedenen Kontrolle und Beherrschung der Kirche durch die Staatsgewalt war. Selbst wertvolle und bedeutende Publikationen der letzten zwei Jahrzehnte hatten bisher diese Bedeutung Kaunitz’ für die Kirchenpolitik des Josephinismus kaum gewürdigt.

Der zweite Band, der im Jahre 1953 folgte, war vornehmlich der Auseinandersetzung des Wiener Hofes mit der römischen Kurie gewidmet. Als der führende Kopf der österreichischen Kirchenpolitik erscheint auch hier Staatskanzler Kaunitz, der eigentliche „Vater des Josephinismus".

Im vorliegenden dritten Band wird nun das Lebenswerk des Hofrats Heinke dargestellt, wie es sich aus den amtlichen Dokumenten aus dem Wiener Haus-, Hof- und Staatsarchiv, dem Allgemeinen Verwaltungsarchiv und dem Archiv des Wiener Schottenstiftes erkennen läßt. Diese zum Teil sehr umfangreichen Dokumente — meist Gutachten und Denkschriften — werden im zweiten Teil dieses Bandes (S. 139 bis 498) von Maaß wortgetreu in der damaligen Orthographie veröffentlicht. Im ersten Teil bringt der Herausgeber kurz den Werdegang des Hofrats bis zu seiner Berufung nach Wien im Jahre 1767 unter Maria Theresia. Dann folgt in flüssiger Darstellung sein kirchliches Reformprogramm und sein Wirken als Referent für kirchliche Angelegenheiten. In eigenen Kapiteln werden seine Stellungnahme zum Reformplan des Kaisers (1781), seine Ansichten über die bischöfliche Amtsgewalt, die Schriften des Jahre 1787 und seine Darlegung über die Unauflöslichkeit der Ehe aus dem Jahre 1789 behandelt.

Das achte und letzte Kapitel beschäftigt sich mit den Beschwerden der österreichischen Bischöfe nach dem Tode Josephs II. und der von der Geistlichen Hofkommission verfaßten Stellungnahme dazu, die die Ideen Heinkes getreulich wiedergibt.

Durch diese Publikation hat nun der Herausgeber auch den Mann gezeigt, der seit 1767 hinter dem

Staatskanzler Kaunitz stand und der dem aufgeklärten Staatskirchentum zum Vordringen in die Reservate der geistlichen Gewalt zunächst, wie Kaunitz selbst sagte, „in einer so haicklichen Sache gleichsam das Eis brechen“ sollte.

Durch seine Denkschriften und Gutachten war es dann Heinke, der auch den weiteren Weg zu einer weitgehenden Rationalisierung des Christentums wies. Dabei kann ein ausgesprochen taktisches Vorgehen beobachtet werden. Vorerst wird die Lehre über den Umfang der bischöflichen Amtsgewalt und der Unabhängigkeit der Kirche in der Erfüllung ihrer Heilsaufgabe, dann die Unfehlbarkeit und der Primat des Papstes sowie die Verbindlichkeit der Bestimmungen des Trienter Konzils über die Ehe als umstritten hingestellt oder sogar als falsch erklärt. Gleichzeitig ist er aber bestrebt, alle antipäpstlichen Strömungen des Gallikanismus, Jansenismus und Febronianismus seinen Bestrebungen dienstbar zu machen und sucht immer wieder zwischen dem Oberhaupt der katholischen Kirche und der römischen Kurie zu unterscheiden. Dabei läßt er den Papst als Zentrum der Einheit gelten, übertreibt aber mehr un!l mehr die finanziellen Bedürfnisse und Forderungen der päpstlichen Kurie und stellt deren Verteidigung kirchlicher Interessen und die praktische Ausübung des römischen Jurisdiktionsprimates als widerrechtliche Anmaßungen und Verfälschung des altkirchlichen Rechtes hin. Dieses sein Bestreben hat dann auch die papstfeindliche Atmosphäre geschaffen, die neben dem vulgären aufklärerischen Geist ein Kennzeichen des Josephinismus ist.

Aber nicht nur als Theoretiker hat Hofrat Heinke das josephinische Staatskirchentum mitgeformt, sondern er hat auch als Leiter des geistlichen Departements und erster Referent der Geistlichen Hofkommission mit Umsicht und Zielstrebigkeit zu seiner praktischen Durchsetzung und seinem Einbau in die Staatsverwaltung ganz entscheidend mitgewirkt. Wie wertvolle Dienste er dem Staatskirchentum leistete, zeigt, daß ihn Maria Theresia trotz mancher Widerstände in seinem wichtigen Amt behielt. Joseph II. hat ihm wiederholt seine Zufriedenheit ausgesprochen und Franz 1L ließ den Hofrat sogar noch nach seiner Pensionierung zu allen wichtigen Beratungen über geistliche Angelegenheiten beiziehen. Als nach dem Tod Joseph II. sein Nachfolger Leopold II. von der Notwendigkeit überzeugt war, gewisse Mängel abzustellen, ließ er die Bischöfe auffordern, binnen zweier Monate ihm ihre Beschwerden vorzubringen und ihm zugleich Mittel an die Hand zu geben, einer etwa bestehenden Unordnung abzuhelfen (S. 121). Aber auch in der Entgegnung gegen die Beschwerden der Bischöfe gelang es Heinke zu bestehen. „Der Vortrag der Geistlichen Hofkommission und die .Anmerkungen’ des Hofrates hatten vollen Erfolg: Von der Kette der staatlichen Kirchengesetzgebung wurde kein wichtiges

Glied herausgebrochen: das staatskirchliche System blieb intakt“ (S. 137).

Abschließend darf man wohl sagen: dem Herausgeber ist es bestens gelungen, zu beweisen, daß das Lebenswerk des Hofrats Heinke, dessen Name schon in Vergessenheit geraten war, einen integrierenden Bestandteil des österreichischen Josephinismus bildet. Nicht nur der Wissenschaftler wird sich über diesen Erfolg ehrlich freuen, dieses Buch ist auch geeignet, darüber hinaus jedem für die Vergangenheit seines

Landes Interessierten durch die eindrucksvolle und flüssige Darstellung der geschichtlichen Wahrheit ein Erlebnis zu werden.

Nach dem bisher von Maaß Geleisteten darf man den angekündigten beiden weiteren Bänden, die über den Spätjosephinismus von 1790 bis 1820 und den anschließenden dreißigjährigen Kampf um die Milderung und Beseitigung des josephinischen Staats- kirchentums handeln werden, mit größtem Interesse entgegensehen.

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