Dieser FURCHE-Text wurde automatisiert gescannt und aufbereitet. Der Inhalt ist von uns digital noch nicht redigiert. Verzeihen Sie etwaige Fehler - wir arbeiten daran.
Koalition oder Mehrheitswahl
Im April 1966 wurde die österreichische Koalition über Bord geworfen, ohne daß es in den Reihen der Großparteien Klarheit darüber gegeben hätte, welche verfassungspolitischen Konsequenzen dieses Ereignis nach sich ziehen könnte und müßte. Der Übergang von der Koalition zur Einparteienregierung wurde durch einen einzigen Faktor ermöglicht, durch die absolute parlamentarische Mehrheit, die von der österreichischen Volkspartei am 6. März 1966 erobert worden war. Wäre es nicht zu dieser Majorität gekommen, hätte keine Partei die absolute Mehrheit im Nationalrat gewonnen, so würde es heute noch eine Koalitionsregierung geben; denn die österreichische Bundesverfassung ist nach dem Modell der parlamentarischen Demokratie konstruiert, die Bundesregierung ist von den jeweiligen Mehrheitsverhältnissen im Nationalrat permanent abhängig. Die gegenwärtige politische Situation in Österreich, die Konfrontation einer Einparteienregierung mit einer starken Opposition, hängt letztlich an einem einzigen Faktor, an der absoluten Majorität der ÖVP.
Doch diese entscheidende Voraussetzung ist nur eine befristete Basis für ein Modell demokratischen Re-gierens. Schon 1970 kann diese Voraussetzung wegfallen. Wenn nach den nächsten Nationalratswahlen die Mehrheitsverhältnisse herrschen, die zwischen 1949 und 1966 geherrscht haben, wenn keine Partei über eine absolute Mehrheit verfügt, ist dem 1966 aus der Taufe gehobenen Modell der Einparteienregierung jede Grundlage entzogen.
Warum die Koalition einer Großpartei mit der FPÖ nicht als eine erstrebenswerte Lösung erscheint, muß hier wohl nicht näher ausgeführt werden. Eine kleine Gruppe von Außenseitern, die erst vor kurzem, beim Besuch des Präsidenten Tito, ihre staatspolitische Verantwortungslosigkeit neuerlich demonstriert hat, darf in unserer Demokratie keine Schiedsrichterrolle ausüben, darf nicht zum „Zünglein an der Waage“ werden. Für den Fall, daß die ÖVP 1970 ihre absolute Mehrheit einbüßt, ohne daß die SPÖ eine solche Mehrheit gewinnt, scheint die Neuauflage der Koalition die einzig wirklich gangbare Lösung zu sein.
Solange die regierungsfähige Mehrheit einer Partei Ausnahme-und nicht Regelfall ist, solange sind Koalitionsregierungen die unserem demokratischen System grundsätzlich adäquate Form des Regierens. Nur dann, wenn man diese Relation umkehrt und eine Einparteienregierung zum Regelfall macht, eine Konzentrationsregierung aber zur Ausnahme, könnte von einem grundsätzlichen Umbau gesprochen werden.
Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.
In Kürze startet hier der FURCHE-Navigator.
Steigen Sie ein in die Diskurse der Vergangenheit und entdecken Sie das Wesentliche für die Gegenwart. Zu jedem Artikel finden Sie weitere Beiträge, die den Blickwinkel inhaltlich erweitern und historisch vertiefen. Dafür digitalisieren wir die FURCHE zurück bis zum Gründungsjahr 1945 - wir beginnen mit dem gesamten Content der letzten 20 Jahre Entdecken Sie hier in Kürze Texte von FURCHE-Autorinnen und -Autoren wie Friedrich Heer, Thomas Bernhard, Hilde Spiel, Kardinal König, Hubert Feichtlbauer, Elfriede Jelinek oder Josef Hader!