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Koalition aber wann?

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Der einzige, wirklich ins Gewicht fallende Nachteil des relativen Mehrheitswahlrechtes, wie es in Großbritannien praktiziert wird, ist die Möglichkeit von Zufallsmehrheiten, die der stimmschwächeren Partei mehr Mandate als der stimmstärkeren geben. (Zum letztenmal geschah dies 1951, beim Wahlsieg der Konservativen.) Doch dieser Defekt der britischen Mehrheitswahl ist ohne besondere Schwierigkeiten zu beheben, und zwar durch den Einbau bestimmter Mechanismen, die zwisohen den Großparteien die richtigen Proportionen gewährleisten. So schlägt Hermens die Einführung einer Zusatzliste vor, die der stimmstärksten Partei auch die Mehrheit im Parlament garantiert. Die politische Wissenschaft hat aber noch andere Techniken entwickelt, die Zufallsmehrheiten ausschließen.

Die letzten Jahre der österreichischen Koalition müßten eigentlich bewiesen haben, daß nur unter bestimmten Voraussetzungen eine Konzentrationsregierung, wie es die österreichische Koalition war, die beste aller Möglichkeiten ist: nur dann, wenn die Dringlichkeit lebensnotwendiger Probleme, über deren Lösung zwischen den Koalitionspartnern Ubereinstimmung besteht, die Gegensätze zwischen den Großparteien entscheidend überlagert. Wenn jedoch die Krisenzeit beendet ist, wenn die lebensnotwendigen Probleme gelöst erscheinen, treten die Gegensätze wieder stärker In den Vordergrund, die Gegensätze, die eine Demokratie nicht negieren oder beseitigen will, sondern akzeptiert und konstruktiv zu machen versucht. Immobilismus und wachsende Entscheidungsunfähigkeit sind die Begleiterscheinungen einer Koalition, die sich über das Ende der Krisensituation, ihrer (Ursprünglichen Rechtfertigung, hinweggerettet hat.

Nicht Mandatsverschiebungen von relativ geringem Ausmaß (etwa der Verlust von drei ÖVP-Mandaten bei den Wahlen 1970) sollten die Basis einer nationalen Konzentrationsregierung sein, sondern die Einsicht, daß außerordentliche Probleme eine außerordentliche Form des Regierens erfordern. Das war 1945 der Fall, als die ÖVP trotz ihrer absoluten Mehrheit sich mit größter Selbstverständlichkeit für die Koalition entschied. Das war nach 1955 nicht mehr der Fall, als nur das Fehlen einer parlamentarischen Mehrheit die entscheidende Klammer für die Koalition war — die auch nach dem Wegfallen dieser Klammer, nach den März-Wahlen 1966, auseinanderfiel. Sollten 1970 die außenpolitischen oder wirtschaftlichen Umstände eine Koalition der beiden Großparteien erfordern, so müßte sie auch dann zustande kommen, wenn eine Partei die absolute Mehrheit besitzt. Aber die Neuauflage einer Koalition, deren einzige Rechtfertigung und deren einziger Zusammenhalt der durch das Wahlsystem begründete Mangel an einer arbeitsfähigen Mehrheit ist, scheint nur wenig verlockend zu sein.

Der Umbau des Parteiensystems durch eine Änderung des Wahlsystems wäre eine Möglichkeit, das Schicksal unserer Demokratie bewußter als bisher zu steuern. Man wird von dieser Möglichkeit dann Gebrauch machen können, wenn man aufhört, nur an das Morgen, vielleicht noch an den nächsten Wahltermin zu denken, wenn man endlich beginnt, auch in den Angelegenheiten unserer Demokratie Konzepte für die Zukunft zu entwickeln.

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