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Mitteleuropa - ganz ohne Wien?

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Mit einer denkbar kleinen Mehrheit haben sich die Abgeordneten des Bundestages in Bonn für Berlin als neue Hauptstadt des vereinigten Deutschland entschieden. Die Auseinandersetzung wurde in den vergangenen Wochen und Monaten sehr heftig geführt. Denn es geht ja um einiges: In Bonn mit seinen 280.000 Einwohnern sind etwa 42.000 Menschen direkt vom Regierungssitz abhängig.

In Berlin aber wird es zu einem Boom kommen. Bis 2005 sollen in der neuen Hauptstadt fünf bis sechs Millionen Menschen wohnen. Derzeit sind es etwa dreieinhalb Millionen.

Das sind aber nur einige Wirtschaftsfakten. Dahinter steht auch die entscheidende Frage, welche Position Deutschland künftig in der Weltpolitik einnehmen wird. Und hier spielte in den Streit Bonn-Berlin auch die Geschichte hinein. Bonn als das Symbol des bescheidenen, demokratiebewußten Nachkriegsdeutschland - und Berlin als neureich-protziges Aushängeschild für Preußens Gloria, das Adolf Hitler zu einer Welt-Metropole ausbauen wollte. Zu dieser fragwürdigen Alternative, auf die das Problem nicht zugespitzt werden kann, meinte dieser Tage Theo Sommer in der „Zeit": „Verantwortungsvolle deutsche Politik läßt sich von Bonn wie von Berlin aus treiben - aber auch unverantwortliche deutsche Politik..."

Sicher ist allerdings, daß von Berlin andere Kraftströme ausgehen werden als von Bonn -nicht nur im wirtschaftlichen Bereich. Erst vor kurzem hat Vaclav Havel in einem FUR-CHE-Gespräch betont, daß Prag Berlin näher liege als Wien. Und wenn von „Berlin als symbolischem Ort Mitteleuropas" geschrieben wird und die „Frankfurter Allgemeine Zeitung" sich dabei auf Havel bezieht - dann kommt Wien gar nicht mehr vor: „Warschau, Prag, Budapest und Berlin: in diesem Geflecht könnte zur Sprache kommen, was ein halbes Jahrhundert verstummt war, die neue Kultur Mitteleuropas. Wer wissen will, was die Zukunft bringt, wo Abgründe sind, welche Gedanken entstehen, der sollte künftig sehr genau auf Berlin hören."

Noch aber ist's nicht ganz so weit. Und wer derzeit wirklich genauer hören möchte, was die nähere Zukunft bringt, der muß sich vorläufig noch ein bisserl an Wien halten. Dort tagten zum Beispiel am vergangenen Wochenende hochrangige Politiker aus Polen, Ungarn und der CS FR, zusammen mit Wissenschaftern, um über eine gemeinsame Zukunft zu reden: Im Institut für die Wissenschaften vom Menschen.

Ansonsten aber sind die Signale für die Völker Mitteleuropas unüberhörbar. Und für Wien sollten sie es auch sein.

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