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Recht auf Pluralismus

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Ein neuer Jugendverband in Ungarn bereitet der Partei Kopfzerbrechen. Mitglied darf nur werden, wer nicht in der KP ist. Für Kommunisten eine „unerhörte Diskriminierung“.

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Ein neuer Jugendverband in Ungarn bereitet der Partei Kopfzerbrechen. Mitglied darf nur werden, wer nicht in der KP ist. Für Kommunisten eine „unerhörte Diskriminierung“.

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FURCHE: Der von den Hörern der Budapester Universität vor etwa zwei Monaten gegründete Verband Junger Demokraten unterscheidet sich grundsätzlich von den in letzter Zeit aktiv gewordenen politischen Vereinen. Sind Sie eine neue politische Partei?

TAMAS DEUTSCH: Wir sind keine politische Partei. Das wollen wir gleich festhalten. Der Begriff Partei ist ja keine juristische, sondern eine politologische Terminologie. Es ist freilich wichtig zu unterstreichen, daß in Ungarn jeder das Recht hat, eine Partei zu gründen. Wir wollten das aber nicht, und zwar, weü es nach unserer Meinung in der gegenwärtigen politischen Lage viel zweckmäßiger war, eine politisierende Jugendorganisation zu schaffen.

Die bisher einzige Jugendorganisation, der Kommunistische Jugendverband der Partei — mit dessen Zielsetzungen wir nicht einverstanden sind —, erfaßt nach optimistischen Schätzungen höchstens dreißig Prozent der Jugend.

Wir wollen freilich nicht die einzige Organisation für diesen nicht integrierten Teil der Jugend sein, doch wir wollen mit unserer Tätigkeit zu einem Prozeß beitragen. Wir sind also keine Partei...

FURCHE: Noch nicht...

DEUTSCH:... es ist aber freilich nicht auszuschließen, daß wir eines Tages eine sein werden.

FURCHE: Es wäre also denkbar, daß Ihre Kandidaten demnächst in den Wahlkampf ziehen.

DEUTSCH: 1990 finden in Ungarn Parlamentswahlen statt. Das wird für alle Alternativvereine ein Prüfstein sein. Ich meine die Frage, wer von ihnen und von uns ins Parlament einzieht. Wir sind gerade dabei, unser Programm auszuarbeiten.

FURCHE: Wie stehen Sie zum Sozialismus? DEUTSCH: Wir arbeiten im Zeichen dreier Grundwerte: der Nation, der Demokratie und des Sozialismus. Wir meinen jedoch nicht den existierenden Sozialismus, sondern den, der die klassischen politischen und soziologischen Grundwerte des Sozialismus beinhaltet.

FURCHE:Nun sprach sich neulich die Parteikonferenz (FURCHE 20 und 21/1988) wieder einmalfür die Beibehaltung des Einparteisystems aus. Sie wollen sich jedoch an den nächsten Wahlen beteiligen. Ist das nicht ein Widerspruch?

DEUTSCH: Die Stellungnahme der Parteikonferenz ist keineswegs so eindeutig. Da wird nämlich der recht schwer erfaßbare Begriff des sozialistischen Pluralismus verwendet. Wir sind der Meinung, daß der natürliche Zustand der modernen Gesellschaften der Pluralismus ist. Wir streben-nach der Verwirklichung eines pluralistischen Systems der politischen Institutionen—logisch bedeutet das auf lange Sicht das Mehrparteiensystem.

FURCHE: Die Mitglieder des Vorstandes sind sowohl von der Polizei als auch von der Staatsanwaltschaft mehrere Male vorgeladen und verwarnt worden. Das Regierungsblatt hat Sie — allerdings noch lange vor der Parteikonferenz — in einem Artikel schwer angegriffen. Den daraufhin angestrengten Prozeß haben Sie zwar verloren, doch Anzeichen dafür, daß die Staatsmacht außer Einschüchterungsversuchen Repressalien gegen Sie anwenden wollte, fehlen nach wie vor.

DEUTSCH: Die direkte Anwendung von Repressalien würde die Demokratisierungsversuche der Macht durchkreuzen. Anderseits können die politischen Geschehnisse in Ungarn nicht aus dem osteuropäischen Zusammenhang herausgegriffen werden. Denken Sie doch an die Lage in der UdSSR, in Polen oder gar in Jugoslawien. Da wäre es doch völlig absurd und anachronistisch, in Ungarn einen Prozeß gegen einige Zwanzigjährige nur deshalb in die Wege zu leiten, weil sie von ihrem staatsbürgerlichen Recht Gebrauch machen und eine Jugendorganisation gründen wollen.

FURCHE:Ihre nächsten Schritte?

DEUTSCH: Im Landesjugendparlament haben wir neulich erreicht, daß die Mehrheit der Vertreter von 66.000 ungarischen Studenten für die Gründung unabhängiger Organisationen stimmte. Nicht nur in zahlreichen Universitätsstädten, sondern auch unter der Arbeiterjugend verfügen wir bereits über Basisgruppen.

Nach der Verabschiedung unseres Programms auf dem ersten Kongreß, der im Oktober stattfinden wird, werden wir imstande sein, auch mit konkreten Forderungen aufzutreten und unsere Vertreter in die Hochschul- und Betriebsgremien zu entsenden. Die Zukunft? Ja, ich glaube schon, daß wir optimistisch sein können.

Mit Tamäs Deutsch (22), dem Vorsitzenden des Verbandes Junger Demokraten (FI-DESZ), sprach Gabor Kiszely.

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