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Katze im Keller, Katze im Garten

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FURCHE: Bei der Beseitigung des Staatssozialismus spätsta- linistischer Prägung haben Sie sich Verdienste erworben, die in aller Welt anerkannt werden. Diese Anerkennung gilt allerdings auch dem, Mann, der einen Bewußtwer- dungsprozeß durchgemacht hat.

IMRE POZSGAY: Ich stamme aus einer Familie von Klein- handwerkern und Bauern. Als Angehöriger der ersten Nach- kriegsgeneration bin ich bereits recht früh mit den Ideen der bol- schewistisch-kommunistischen Variante des Sozialismus in Berüh- rung gekommen. Und lange Zeit war ich davon überzeugt, daß man damit die Probleme und die gesell- schaftlichen Widersprüche des Ungarntums lösen könnte.

FURCHE: Seit wann wissen Sie definitiv, daß die Mehrheit des un- garischen Volkes diese Art von Sozialismus ablehnt?

POZSGAY: Seit etwa zehn Jah- ren. Ich war lange Zeit der Mei- nung, daß das Verhältnis zwischen Volk und Sozialismus in diesem Lande mit Hilfe eines starken Re- formprogramms korrigiert -und humanisiert werden kann. In die- ser Hinsicht hat auf mich beson- ders der Prager Frühling gewirkt.

In der ersten Hälfte der sechziger Jahre habe ich mich allerdings mit der Frage des Verhältnisses von Sozialismus und Demokratie wis- senschaftlich befaßt. Meine damals entstandene Dissertation brachte dann auch den ersten Konflikt mit der Führung.

Doch stärker als alle anderen Studien und Einwirkungen war für mich die ungarische Realität pri- mär. Mit ihren Störungen machte sie mir jeden Tag klar, daß hier die Sachen nicht länger in der alten Weise funktionieren konnten. Vom Sozialismus habe ich mich aller- dings nicht entfernt; ich begriff aber, daß er von Freiheit und Demo- kratie nicht zu trennen ist. Im Be- sitze dieser Erkenntnis habe ich dann meine Einstellungen ausge- baut.

FURCHE: Bei allen Liberali- sierungstendenzen, die das Kdddr- Regime in seinen verschiedenen Abschnitten aufwies, handelte es sich hier stets um eine sture und unnachgiebige Herrschaß des Ap- parates mit unbeweglichen Struk- turen. Dieser Herrschaft haben Sie sich auch nicht entziehen können.

POZSGAY: Rückblickend er- scheint mir die Aufgabe, die ich zu bewältigen hatte, fast schon absurd. Ich habe nämlich recht früh er- kannt, daß ich mich nicht in den Zustand der Machtlosigkeit bege- ben darf. Ich mußte auf einer be- stimmten Ebene der Macht bleiben, um die Kritik von innen vollziehen zu können.

Insbesondere nach dem Ein- marsch in die Tschechoslowakei wurde mir klar, daß bei uns eine offene Opposition nur marginal bleiben konnte: sie hatte keinerlei Chance, sich eine Massenbasis zu schaffen. Es galt also so weit drau- ßen zu bleiben, daß das Volk, die Gesellschaft immer wußte, was meine Ziele waren, und zugleich auch drinnen, also in Machtnähe, doch so, daß ich bei den Entschei- dungsprozessen einen stets zu be- rücksichtigenden Faktor darstell- te, den man wiederum nicht von der Machtnähe entfernen konnte. Dies glich der Lage einer Katze, die gleichzeitig im Keller und im Gar- ten Mäuse fangen muß. Nun, ich habe es versucht...

FURCHE: ...und Sie haben eines Tages erkennen müssen, daß die Mehrheit dieses Volkes nicht ein- mal Ihren demokratischen Sozia- lismus haben will?

POZSGAY: Die Sozialisten (sprich: Reformkommunisten, Anm.d.Red.) haben erreicht, was sie wollten: freie Wahlen und eine demokratische Gesetzgebung. Der Wahlerfolg, den diese Partei auf- grund ihrer historischen Leistung verdient hätte, ist allerdings ausge- blieben. Das kommt vor allem daher, daß die vergangenen vierzig Jahre im öffentlichen Denken die- ses Landes eine ungeheuerliche Verwüstung verursacht haben: unter Sozialismus versteht man hierzulande nach wie vor die stali- nistische Formation, die einem nur aufgezwungen werden kann.

Nun haben wir uns erstens durch den Verzicht auf die Macht legiti- miert - das macht keine diktatori- sche Partei, unsere Hauptlegitima- tionsquelle sind allerdings die Stim- men der mehr als 500.000 Wähler.

FURCHE: Der Erneuerungs- prozeß der Partei ist aber noch nicht abgeschlossen?

POZSGAY: Die entschiedene Wende haben wir bereits im ver- gangenen Herbst vollzogen. Auf unserem bevorstehenden Partei- kongreß müssen wir uns aber noch von den übriggebliebenen kommu- nistischen Ballasten befreien. Nunmehr endgültig! Wir wollen unwiderruflich klarstellen, die Fortsetzer der sozialdemokrati- schen Traditionen zu sein, indem wir den Geist Imre Nagys und der Revolution von 1956 auch zu unse- rem Ideengut zählen. So streben wir die Integration und die Beseiti- gung jenes Vakuums der Linken an, das hier nach den Wahlen ent- standen ist.

FURCHE: Welchen Sozialismus meinen Sie denn eigentlich?

POZSGAY: Den demokratischen im europäischen Sinn. In den ver- gangenen zwei Jahren habe ich begriffen, daß der bolschewistisch- kommunistische abgelöst werden muß, damit das Volk eines Tages wieder den Weg zum Sozialismus findet - zu dem, den ich meine.

FURCHE: Das kann unter Um- ständen Jahre dauern, die abzu- warten Ausdauer und Geduld vor- aussetzen.

POZSGAY: Das weiß ich. Und dafür stehe ich auch ein.

Mit Imre Pozsgay, Vorstandsmitglied der Ungarischen Sozialistischen Partei (USP), der gemeinsam mit 32 Abgeordneten seiner Partei im Budapester Parlament die Oppositionsbänke drückt, sprach Gabor Kiszely.

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