7121983-1996_40_20.jpg
Digital In Arbeit

Chancen für einen Dschingis-Khan?

Werbung
Werbung
Werbung

Die Zukunft hat Bobert Kaplan im Buch „Reisen an die Grenzen der Menschheit - Wie die Zukunft aussehen wird" an den Grenzlinien unserer gegenwärtigen Welt zu erkunden versucht. Afrika behandelt er nur kurz, ausführlich jedoch die Grenzlinien in Mittelasien. Der Selbstzerfleischung in Sierra Leone etwa steht Kaplan fassungslos gegenüber. Den gesellschaftlichen Umwälzungen des Nahen und Fernen Ostens gegenüber bringt Kaplan dagegen ausführliche Vorkenntnisse aus früheren Reisen mit, und dementsprechend steht seine Deutung der konkreten Situationen, die er vorfindet, auf solidem Grund.

Seine Reisen führten ihn über Ägypten zum Rogen der Länder rund um und im kontinentalen Südosten der ehemaligen Sowjetunion. Dazu noch Südostasien und das Himalaya-gebiet. Seine besondere Aufmerksamkeit gilt dem Iran und den Turkvöl-kern. Beide gelten heute als potenti-' eile Gefahrenquellen für den Frieden in dieser geopolitischen Region.

Turkvölker bewohnen das Gebiet von der Ägäis bis in die chinesische Provinz Sinkiang. Mit Ausnahme der Türkei selbst findet Kaplan überall Chaos, Elend und den Glauben an die Mission der Turkvölker, gemeinsam alle anderen Völker zu verjagen und wieder Herrenvolk zu werden. Heute fehlen dazu Kraft und Organisationskapazität. Sowie jedoch die Türkei sich dazu durchringt, diesen Traum massiv zu verwirklichen, könnte es, aller gegenwärtigen Zersplitterung zum Trotz, zu spektakulären Änderungen kommen. In Sinkiang zum offenen Bürgerkrieg gegen China, in Mittelasien zur turk-imperialisti-schen Beorganisation der noch im Verband der GUS befindlichen, heute mehr Mafia- als Turkstaaten darstellenden Länder von Aserbeidschan bis Turkestan. Noch ist nicht klar, welche Politik der islamistische Premier der Türkei einschlagen wird. Kaplan hatte dessen Aufstieg erst ahnen können. Aber es fiel ihm auf, daß die Anhänger der islamistischen Wohlfahrtspartei seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion meist aus dem heimatlosen linken Lager stammen.

Kaplan ist pessimistisch in bezug auf die Entwicklung all der Staaten, die er besuchte. Überraschenderweise bildet der Iran die Ausnahme in dieser Sicht. Doch lasse sich die Entwicklung nur schwer mit westlichen Maßstäben beurteilen. Die Basaari (Händler und Handwerker des traditionellen Marktes) „etablierten ein ökonomisches System, das einem einzigen großen Basaar gleicht und dem Westen unheimlich vorkommen muß. Die Allianz zwischen den Basaari und dem schiitischen Klerus hat die höhere staatliche Ebene erreicht. Die Begeln sind weitaus flexibler als in jedem westlichen Staat." Kurz, der Iran entwickle sich auf eigene Weise weit liberaler, als der Westen bisher wahrnehme.

Während jedoch „die Frage des jFu'ndamentalismus' im Leben des Iran und in den Köpfen der westlichen Welt bald von größeren Veränderungen in der politisch-historischen Landschaft überholt werden" wird, vertiefe sich der Gegensatz zwischen den angrenzenden Turkvölkern und dem Iran. Dieser versucht heute mit allen diplomatischen und wirtschaftlichen Mitteln, den dort durch neue Ölvorkommen entstehenden Beich-tum - in Konkurrenz zur Türkei - in sein Wirtschaftssystem einzubinden. Gelingt das Vorhaben, könnte sich die gesamte Region weitgehend beruhigen. Sollten sich die türkischen Islamisten dagegen zu Turk-Imperiali-sten mausern, dann könnte die geo-politische Region Anfang des kommenden Jahrhunderts einem neuen Dschingis-Khan gegenüberstehen.

REISEN AN DIE GRENZEN DER MENSCHHEIT

Wie die Zukunft aussehen wird. Wims yon Roberl Kaplan. Verlag Droemei; München 1996. 496 Seilen, geb., öS 340,

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung