Energieexperte Walter Boltz: „Noch nie war der Ausstieg aus russischem Gas so einfach“
Klimaschutzministerin Leonore Gewessler fordert mehr Tempo beim Raus aus russischem Gas. Energieexperte Walter Boltz hält sogar ein Ende russischer Importe mit Ende 2024 für möglich.
Klimaschutzministerin Leonore Gewessler fordert mehr Tempo beim Raus aus russischem Gas. Energieexperte Walter Boltz hält sogar ein Ende russischer Importe mit Ende 2024 für möglich.
Nach 98 Prozent Gasimporten aus Russland im Dezember verlangte die grüne Ministerin Leonore Gewessler vorige Woche, die Abhängigkeit drastisch zu reduzieren. Energieexperte Walter Bolz, der u. a. auch Gewessler berät, erklärt, wie das gelingen soll.
DIE FURCHE: Herr Boltz, hat die Nachricht von Alexej Nawalnys Tod Auswirkungen auf die Diskussion über Österreichs Ausstieg aus russischem Gas?
Walter Boltz: Ich denke schon, dass sich die Apologeten, die den Gashandel mit Russland verteidigen, angesichts dieses De-facto-Mords jetzt schwerer tun. Natürlich kann man sagen, es gibt einige Staaten auf der Welt, die nicht unseren demokratischen Idealen entsprechen und mit denen wir wirtschaftliche Beziehungen pflegen – aber diese Länder führen keinen Krieg ein paar Hundert Kilometer östlich von Wien. Ob Nawalnys Tod tatsächlich ein Umdenken auslöst, wird sich zeigen. Ich bin skeptisch, weil wir in einer Gesellschaft leben, in der wir die essenziellen Probleme, egal ob Klimaschutz oder Sicherheitspolitik, lieber ausblenden.
DIE FURCHE: Oder aussitzen? Der Krieg ist ja in einer Pattsituation, die Ukraine im Nachteil, Europa zögert, Trump steht vor der Tür, vielleicht kommt es doch zum Waffenstillstand …
Boltz: Diese Überlegungen spielen sicher bei vielen eine Rolle: Wir halten uns zurück, das wird sich schon wieder normalisieren, und dann sind wir wieder bei den Ersten, die mit Russland Geschäfte machen. Die meisten übersehen dabei, dass wir es im Falle von russischen Lieferanten nicht mit kommerziellen Unternehmen zu tun haben, sondern mit einem politischen System, das auf die Kunden maximalen politischen Druck ausüben will. Das ist keine „normale“ Wirtschaftsbeziehung. Ich muss damit rechnen, dass dieser Lieferant jederzeit – und zwar zu dem Zeitpunkt, der für ihn am besten ist, zum Beispiel wenn bei uns eiskalter Winter herrscht – die Gaslieferungen unterbricht. Weil er damit maximalen politischen Druck ausüben kann. Da muss man sich als Land fragen: Wie kann ich dem entkommen?
DIE FURCHE: Das frage ich Sie.
Boltz: Indem ich von diesem Lieferanten gar nichts oder nur mehr wenig kaufe. Dann verliert er jegliches Druckmittel gegen mich. Unser Fehler war, dass wir den Marktanteil der Russen zu groß werden ließen. Das ist schlecht, egal in welchem Wirtschaftssegment. Die Russen haben uns auch bewusst in diese Abhängigkeit gebracht. Wir waren so naiv, zu glauben, sie würden ihre Marktposition nicht ausnützen. Mittlerweile haben sie mehrfach bewiesen, dass sie ein unzuverlässiger Lieferant und bereit sind, den Druck auf westliche Käufer zu maximieren. Durchaus zum Schaden der eigenen Unternehmen, denn auch Gazprom hat aufgrund dieser Politik wahnsinnig viel verloren.
DIE FURCHE: Nach Beginn des Krieges 2022 ist der Gaspreis auf über 300 Euro pro Megawattstunde hinaufgeschnellt. Wo steht er heute?
Boltz: Heute gibt es kurzfristiges Gas um 24 Euro, wer langfristig für nächstes Jahr kauft, muss mit 25, 26 Euro rechnen. Vor der Krise lag der Preis bei rund 18 Euro, da darf man aber die Inflation seither nicht vergessen. Wir nähern uns also wieder einem normalen Preisniveau.
DIE FURCHE: Das Hauptargument gegen die Forderung von Ministerin Gewessler nach einem schnellen Ausstieg ist eine dadurch ausgelöste massive Erhöhung des Gaspreises inklusive negativer Folgen für Wirtschaft und Haushalte …
Boltz: Das stimmt einfach nicht. Zum Glück sind wir jetzt in der Situation, dass es genügend Gas am Weltmarkt gibt, auch die Speicher sind voll und die Preise auf halbwegs normalem Niveau. Ein Problem bekommen wir nur, wenn wir unvorbereitet in eine Lieferunterbrechung laufen. Wenn wir uns vernünftig darauf vorbereiten, dann gibt es keine relevanten Preiseffekte. Noch nie seit dem Angriff auf die Ukraine wäre es so einfach, aus der Abhängigkeit von russischem Gas auszusteigen.
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