Christdemokratische Positionen zur Wahl

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Die Historiker und Publizisten Thomas Köhler und Christian Mertens haben sich zu ihrem 50. Geburtstag selbst ein Geschenk gemacht und stellen eine Auswahl ihrer besten Texte - darunter nicht wenige aus der FURCHE - in einem Sammelband erneut zur Diskussion.

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Die Historiker und Publizisten Thomas Köhler und Christian Mertens haben sich zu ihrem 50. Geburtstag selbst ein Geschenk gemacht und stellen eine Auswahl ihrer besten Texte - darunter nicht wenige aus der FURCHE - in einem Sammelband erneut zur Diskussion.

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Kurzatmige Themen-Schaukämpfe verdrängen in Vorwahlzeiten die programmatische Substanz politischer Parteien. Zugleich geraten weltanschauliche Traditionen bei immer stärker personalisierten Wahlauseinandersetzungen in den Hintergrund. Deshalb kann es gut tun, gerade jetzt näher hinzuschauen und zu überprüfen, von wo sich aktuelle politische Positionen herleiten. In Bezug auf die Österreichische Volkspartei ermöglicht ein von Thomas Köhler und Christian Mertens herausgegebener Sammelband mit Texten zu "postmoderner Christdemokratie" eine solche gedankliche Vertiefungsübung.

Der Tauchgang in tiefere Schichten lohnt sich vor allem dort, wo deutlich wird, dass wesentliche Themen-Schwerpunkte ihre inhaltliche Entwicklung einem über viele Jahre deutlich lebendigeren öffentlichen Werte-Diskurs verdanken, als wir ihn heute gewohnt sind. Von der ordnungspolitischen Verfasstheit über das Soziale und das Ökologische bis zum Bildungsbereich wölben sich Spannungsbögen, die auf den Gedankengebäuden engagierter (Vor-)Denk-Runden gründeten. Die sehr frühe Öffnung für das Projekt Europa bot die Chance, all diese Themen in ein größeres politisches Ganzes einzubringen und zugleich eine noch junge österreichische Identität festigen zu helfen.

Bei Jubiläen wird zwar noch daran erinnert, aus dem öffentlichen Bewusstsein jedoch ist mittlerweile weitgehend verdrängt, wie stark die ersten Nachkriegsbemühungen um eine neue europäische Friedensordnung von gemeinsamen Anstrengungen früher verfeindeter politischer Lager getragen waren. Das verdankte sich vor allem auch hervorragenden Exponenten aus humanistisch-christlicher Tradition: etwa dem Franzosen Robert Schuman, dem Italiener Alcide De Gasperi, dem Deutschen Konrad Adenauer. Sie begründeten, getragen von christlicher Glaubensüberzeugung, so etwas wie eine weltanschauliche Ökumene der europäischen Einigung über Parteigrenzen hinweg. Die Prinzipien der Personalität, Solidarität und Subsidiarität finden sich in ihr vereint mit Liberalität und verfassungsrechtlicher Säkularität.

Unverzichtbare Wertequellen

In Verbindung damit entstand auch ein Wirtschafts-und Sozialmodell, das bis heute für Kontinentaleuropa und die nordeuropäischen Staaten prägend ist. Egal, ob es als "(Öko-)Soziale Marktwirtschaft" oder "Rheinischer Kapitalismus" beschrieben wird: Immer geht es -bei allen Akzentunterschieden in Details -um einen leistungsstarken Sozialstaat, um die Kombination von wirtschaftlicher Effizienz und sozialem Ausgleich. Allerdings ist ein derartiges Modell - wie die gesamte europäische Vision -kein Selbstläufer. Damit es nicht zum bloßen politischen Weltkulturerbe verkommt, bedarf es der ständigen Sauerstoffzufuhr durch Gedankenimpulse und weiterführende Reformkonzepte, die nur in offenen, demokratischen Vordenk-Arenen entstehen können, nicht aber in den "War Rooms" der Wahlkampfbüros.

Liest man die Beiträge der beiden Autoren, denen Rudolf Mitlöhner in seinem Vorwort ein "zeitgemäßes Buchstabieren christdemokratischer Programmatik" bescheinigt, bekommt man durchaus Lust auf mehr. Und man stellt fest, wie eng der öffentliche Spielraum für faire Auseinandersetzungen zu politischen Grundsatzfragen mittlerweile geworden ist. Die Fernsehanstalten laden nun einmal lieber zu Konfrontationen und Duellen als zu gelassenen Gesprächen, während in den "Social Media" unerbittliche Rechthaberei und Diskreditierung Andersgläubiger durch Schlagworte wie "neoliberal" oder "Gutmensch" überhand nimmt.

Die Autoren erinnern daran, dass trotz Trennung von Kirche und Staat eine gänzliche Trennung von Religion und Politik dort nicht sinnvoll sein kann, wo politische Erneuerung von der Inspiration durch unverzichtbare Wertequellen lebt. Manche ihrer Beiträge lassen einen kulturpessimistischen Grundton erkennen, wenn sie etwa den Parteien vorwerfen, überwiegend nur mehr "ideologievergessen und klientelversessen" aufzutreten. Diesen Vorwurf ersparen sie in manchen Passagen auch nicht "ihrer" Volkspartei. In Summe jedoch überwiegt das Zutrauen in eine jederzeit mögliche Werte-Renaissance, zu der die beiden Gründer der "Initiative Christdemokratie" mit ihrem anregenden Sammelband einen wichtigen Beitrag leisten.

Widerspruch der Gegenwart

Anmerkungen postmoderner Christdemokratie Von Thomas Köhler und Christian Mertens Edition Mezzogiorno 2017,248 S., geb., € 19,95

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