"Die Marktökonomie rechnet falsch"

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Die vorherrschende Ökonomie ignoriere nicht nur ihre sozialen und ökologischen Grundlagen, sondern gefährde auch den sozialen Frieden und sei mitschuld am Geburtenrückgang, meint die deutsche Wirtschaftswissenschafterin Adelheid Biesecker im furche-Gespräch.

Die Furche: Frau Biesecker, als Volkswirtin sind Sie eine Kritikerin der herrschenden Wirtschaftstheorien, was finden Sie an diesen Theorien falsch?

Adelheid Biesecker: Ökonomie wird ausschließlich als Marktökonomie verstanden, und diese Marktökonomie rechnet falsch. Denn die Leistungen der ökologischen Natur und der sozialen Mitwelt werden im Rahmen dieser Ökonomie abgespalten und dadurch beschädigt oder zerstört. Deswegen plädiere ich für eine Ökonomie, die "eingebettet" ist in diese beiden anderen Bereiche.

Die Furche: Das wäre eine Ökonomie, die die verschiedenen Lebensbereiche integriert ...

Biesecker: ... und als gleichwertig anerkennt! Denn derzeit zählt nur, was Geld bringt. Im Haushalt geleistete Arbeit, meist von Frauen ausgeführt, wird nicht bewertet. Auch die Leistungen der Natur, zum Beispiel unser Klima aufrecht zu erhalten, werden unhinterfragt vorausgesetzt. Alles hat zu funktionieren, damit die Marktökonomie läuft.

Die Furche: Sie sprechen auch von den geschlechtshierarchischen Strukturen der Ökonomie ...

Biesecker: Ich verwende gerne das Bild von Licht und Schatten. Alles, was am Markt passiert, ist im Licht, da fällt das Auge der Ökonomie drauf. Alles andere ist im Schatten. Damit ist gleichzeitig das eine wertvoll, das andere wertlos, Einfluss und Macht werden über die Rollen am Markt und nicht über die Rollen in der Versorgungsökonomie definiert.

Die Furche: Was sind die Konsequenzen?

Biesecker: Das Konzept der Politik ist eher eine Politik von oben, die Stimmen der Zivilgesellschaft werden wenig gehört. Die solidarische Ökonomie - also Netzwerke und Initiativen - wird ebenfalls von der Marktökonomie abgespalten. Die Politikstruktur ähnelt der Ökonomiestruktur: Es stehen bestimmte politische Prozesse im Licht, aber die Politik von unten steht im Schatten, insofern kann man von demokratiefeindlichen Strukturen sprechen.

Die Furche: Sie kritisieren, dass heute alle Lebensbereiche von der Marktlogik durchdrungen sind ...

Biesecker: Ich bin der Meinung, dass diese Durchökonomisierung aller Lebensprozesse lebensschädlich, wenn nicht sogar lebensfeindlich ist. Heute gilt nur die Kosten-Nutzen-Rationalität, aber eine Vielzahl der anfallenden Kosten wird dabei gar nicht erfasst. Etwa jene Kosten, die Patienten tragen, weil sie weniger Zeit vom Pflegepersonal bekommen.

Die Furche: Wann hat dieser Prozess der radikalen Durchökonomisierung aller Lebensbereiche eingesetzt, und wie lang wird er noch anhalten?

Biesecker: Im Rahmen der Globalisierung wird dieses politische Projekt seit Mitte der neunziger Jahre vorangetrieben. Prognosen, wann eine Umkehr einsetzen könnte, sind immer schwierig, aber derzeit sehe ich zwei Gegenkräfte: einerseits die Natur, denn es fragt sich, wie lange unsere Umwelt diese Ökonomie noch aushalten wird; zum anderen, wie lange die Menschen selbst das noch aushalten wollen. Es gibt heute weltweit viele widerständige Menschen, die ich durch mein Konzept zu stärken versuche. Meine Frage ist immer: Welche Märkte wollen wir, welche Märkte sind gut für das Leben der Menschen und die Natur? Meistens wird die Frage umgekehrt gestellt: Wie können wir die Natur und die Menschen als Mittel für den Zweck von Märkten einsetzen? Deswegen plädiere ich für einen Perspektivenwechsel.

Die Furche: Obwohl die teilweise negativen Auswirkungen der Globalisierung heute offensichtlich sind, wird der Mythos der sich selbst regulierenden Märkte, die weltweiten Wohlstand bringen sollen, als Leitbild der Politik aufrechterhalten.

Biesecker: Der Mythos wird da brüchig, wo wir mit dem Problem der Arbeitslosigkeit nicht klar kommen. Durch die hohe Produktivität produzieren immer weniger Menschen das, was wir brauchen. Die Fixierung auf Erwerbsarbeit ist also kein Entwicklungsmodell mehr, weil sie immer mehr Menschen als so genannte Arbeitslose ausscheidet. Aber in den Haushalten, in der Non-Profit-Ökonomie gibt es vielfältige Arbeiten: Versorgungsarbeit, Freiwilligenarbeit ... Es gibt viel zu tun. Die so genannten Erwerbsarbeitslosen sind zwar Einkommenslose, aber nicht Arbeitslose. Außerdem sehe ich, dass die Arbeit völlig falsch verteilt ist. Die Hauptverantwortung der Versorgungsarbeit liegt bei den Frauen, auch die Tatsache, dass wir in unseren westeuropäischen Gesellschaften zu wenige Kinder bekommen, hängt mit der ungleichen Arbeitsverteilung zwischen den Geschlechtern zusammen. Kinder bekommen ist heute zum Lebensrisiko geworden. Notwendig wäre ein ökonomisches Grundverständnis, das nicht einfach auf der traditionellen Familie basiert, sondern das Männer und Frauen als Gleichberechtigte ansieht, sowohl in der Erwerbsarbeit, als auch in der Versorgungsarbeit.

Die Furche: Wie könnte ein ökonomisches System, das diese Gleichberechtigung gewährleistet, aussehen?

Biesecker: Es bräuchte eine radikale Arbeitszeitverkürzung, damit die Männer mehr Zeit haben für die Versorgungsarbeit. So erhielten die Frauen die Möglichkeit zu guten Erwerbsarbeitspositionen am Markt, ebenso die derzeitigen Arbeitslosen. Den aktuellen Trend zur Arbeitszeitverlängerung halte ich für falsch. Alle Gesellschaftsmitglieder sollen die Option erhalten, sich in den verschiedenen Tätigkeitsbereichen zu beteiligen: am Erwerbsarbeitsmarkt, im Haushalt, in der Zivilgesellschaft usw.

Die Furche: Die Ungleichheit zwischen Arm und Reich wächst, aber diese Marktökonomie wird weitergetrieben. Glauben die Wirtschaftsakteure heute noch an das neoliberale Wohlfahrtsversprechen oder geht es nur um Verteilungskämpfe?

Biesecker: Sicher besteht das Interesse, immer reicher zu werden, und es geht auch um Macht. Aber es gibt auch Manager, die der festen Überzeugung sind, der Markt sei moralisch. Wir haben ein Forschungsprojekt in Ostdeutschland gemacht mit der Frage: Warum geht's dort nicht weiter mit der Nachhaltigkeit, warum will man nur die große Industrie dort ansiedeln, anstatt die Ökonomie vor Ort zu entwickeln. In unserer Studie sagen Manager, die in den Osten gehen: "Wir machen hier die Wohlfahrt, wenn es uns gut geht, geht es auch der Gesellschaft gut." Das sind alte Bilder, die wir aus den Köpfen kriegen müssen. Dieser Perspektivenwechsel kann aber nicht von denen ausgehen, die in diesen Machtstrukturen sitzen, sondern nur von den Ausgegrenzten. Deswegen müssen die regionalen Initiativen weltweit ernst genommen werden. Aber ich gebe Ihnen Recht, die Kräfte sind ungleich verteilt, dieses neoliberale Globalisierungsprojekt hat starke politische und ökonomische Befürworter, und wir haben viel zu tun. Die Frage ist: Gelingt es uns rechtzeitig, ein Umdenken zu initiieren, sind wir so klug, dass wir Entwicklungen selbst in die Hand nehmen, oder lassen wir uns erst durch noch größere Krisen aufrütteln.

Das Gespräch führte Teresa Arrieta.

Wissenschaftliche Kämpferin für "vorsorgendes Wirtschaften"

Adelheid Biesecker wurde 1942 in Berlin geboren und studierte dort Volkswirtschaftslehre. 1971 wechselte sie an die neu gegründete Universität Bremen - für eine Professur mit dem Namen "Ökonomische Theorie unter besonderer Berücksichtigung der gesellschafts-historischen Entstehungsbedingungen". Seit Oktober 2004 ist sie pensioniert und nur noch in der Forschung tätig. Ihre aktuellen Arbeitsgebiete sind Geschichte der Wirtschaftstheorie, Mikroökonomik, ökologische und feministische Ökonomik. In den letzten Jahren konzentrierten sich Vorträge und Veröffentlichungen auf die Gebiete der Arbeit und der Nachhaltigkeit. Adelheid Biesecker ist Mitglied im wissenschaftlichen Beirat von attac Deutschland und in der Vereinigung für Ökologische Ökonomie und im Frauennetzwerk "Vorsorgendes Wirtschaften". Dieses Netzwerk dient dem Gedankenaustausch über eine nachhaltige Wirtschaftsweise, es organisiert Vorträge, veranstaltet Tagungen und gibt Publikationen heraus. Seit Februar 2000 ist sie Mitglied der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages zum Thema "Die Zukunft des Bürgerschaftlichen Engagements". Adelheid Biesecker ist unter anderem Mitherausgeberin des 2000 erschienenen Buches "Vorsorgendes Wirtschaften. Auf dem Weg zu einer Ökonomie des guten Lebens" und Mitautorin des Bandes "Nachhaltiges Naturkapital".

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