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Nicht nur über die Betroffenen, sondern vor allem mit ihnen reden

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Im Jahr 1995 werden auch in Osterreich Beiräte für Ausländer eingerichtet. Graz und Salzburg machen den Anfang.

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Im Jahr 1995 werden auch in Osterreich Beiräte für Ausländer eingerichtet. Graz und Salzburg machen den Anfang.

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Auch in Osterreich werden im angebrochenen Jahr Ausländerbeiräte geschaffen. In Graz soll bereits im Mai, in Salzburg im Oktober gewählt werden (siehe den Beitrag in der Randspalte). Bekommen Ausländer zum ersten Mal in Österreich eine demokratische Vertretung?

Die Meinung der Betroffenen ist eindeutig: Bei einer Anfang November im Raum Linz durchgeführten Umfrage unter rund 450 Ausländern gaben 90 Prozent an, ein gewählter Äusländerbeirat sollte eingerichtet werden. Genau die Hälfte der Befragten sagten, sie wären sogar zu einer Mitarbeit bereit.

In Deutschland existieren kommunale Ausländerbeiräte schon seit mehr als 20 Jahren. Sie werden wie Gemeinderäte gewählt. Wahlberechtigt sind Ausländer, die seit mindestens sechs Monaten in Deutschland leben. Entscheidungsgewalt haben die Gremien freilich keine. Sie dürfen zu Vorhaben der Gemeinde Stellung nehmen und Selbst Projekte einbringen. Zum Teil haben sie auch Rederecht in Gemeindevertretung und Gemeinderat.

Rogelio Barroso, in Kassel lebender Spanier und Vorstand der hessischen Arbeitsgemeinschaft Ausländerbeiräte: „Wir haben zwar keine vollen politischen Rechte, aber immerhin Einfluß in der Gemeinde.” Ziel sei natürlich weiterhin das Wahlrecht zumindest auf kommunaler Ebene. „Beiräte sind aber weder ein erster Schritt dazu noch ein Ersatz dafür. Sie sind einfach eine Interessenvertretung für Ausländer. Die besten Sachverständigen sind schließlich die Betroffenen selbst.”

Norbert Steyrleuthner, 51jähriger Österreicher und Beirat in der hessischen Kleinstadt Viernheim, assistiert: „Man muß den Leuten klarmachen, daß sie nicht über uns reden sollen, sondern mit uns.”

Der in Salzburg lebende Politologe Eugene Sensenig - er forscht am Boltzmann-Institut zum Bereich Ausländer-Mitbestimmung - nennt Beispiele aus der alltäglichen Arbeit des Münchner Ausländerbeirats: Dieser habe etwa einen Frauentag in öffentlichen Bädern gefordert, um auch islamischen Frauen die Möglichkeit zu geben, dort einmal baden zu gehen.

Bei einer Stellungnahme zum Schulgesetz habe der zuständige Ausschuß vorgeschlagen, die Muttersprache der Kinder statt der ersten lebenden Fremdsprache zu unterrichten, erzählt Sensenig: „Da hat sich eine Frau aus dem Iran zu Wort gemeldet und hat erklärt, das sei ausländerfeindlich. Alle haben sich groß angeschaut. Doch die Frau hat erklärt, ihre Kinder müßten dann ja zuerst Farsi statt Englisch lernen und wären damit auf dem Arbeitsmarkt schwer benachteiligt. Der Ausländerbeirat hat den Vorschlag daraufhin zur weiteren Beratung an den Ausschuß zurückverwiesen.'

In Österreich, hofft Sensenig, könnten Ausländer durch die Beiräte zum ersten Mal eine echte demokratische Vertretung bekommen. „Derzeit kann man ja nicht einmal von einem Demokratiedefizit reden, denn das setzt voraus, daß in diesem Bereich schon Demokratie vorhanden ist.”

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