Unternehmen ohne ALPHATIERE

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Seit Jahrzehnten zeigen Firmen, dass es auch gleichberechtigt klappen kann. Digitalisierung und Wirtschaftskrise befördern den Trend.

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Seit Jahrzehnten zeigen Firmen, dass es auch gleichberechtigt klappen kann. Digitalisierung und Wirtschaftskrise befördern den Trend.

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Durch die hohen Fenster leuchtet die Nachmittagssonne auf den Holztisch in der Mitte der Küche: Vor zwei Stunden noch saßen hier die 20 Mitarbeitenden vom Planungs- und Kommunikationsbüro "PlanSinn" beim Essen zusammen. Zweimal pro Woche bereitet ein Koch ein frisches 3-Gänge-Menü für alle zu. Davon ist jetzt in der blitzblanken Küche nichts mehr zu merken. Unübersehbar ist aber eines: "Die Küche, der größte Raum, ist dem Gemeinsamen gewidmet."

Gründungsmitglied Wolfgang Gerlich nimmt hier keine leere Floskel in den Mund; das Gemeinsame bestimmt seit der Gründung 1997 das Unternehmen, das vor allem die öffentliche Hand in Kommunikations- und Partizipationsprojekten unterstützt: Die üblichen Hierarchien wird man bei PlanSinn genauso wenig finden wie Job-Descriptions. "Wir sind ein großes Team, das in unterschiedlichen Projekten und Konstellationen zusammenarbeitet", beschreibt er den Arbeitsalltag, in dem rund 40 Projekte parallel ablaufen. "Jeder macht alles: An einem Tag wird recherchiert, am nächsten eine Ausstellung aufgebaut, am übernächsten mit Bürgern gequatscht." Das gilt auch für die fünf Gründungsmitglieder, die zwar als Gesellschafter rechtlich für die Firma verantwortlich sind, sich aber sonst kaum von den anderen unterscheiden.

Demokratische Entscheidungen

"Seit 20 Jahren wird bei uns alles im Konsens entschieden", so Gerlich, "vom Lohnschema bis zur Frage, ob wir einen größeren Auftrag annehmen." Oder ob die Einführung eines Sekretariats die Arbeit erleichtert: "Wir verbringen viel Zeit damit zu prüfen, ob alles passt, und zu reagieren, wenn etwas nicht so gut funktioniert", setzt das Team dabei auf den Vorteil der kollektiven Intelligenz. In Sachen Sekretariat etwa hat diese entschieden, dass man -wie gehabt - die Arbeit selbst erledigt und unliebsame Jobs im Büromanagement wie Müllentsorgen untereinander aufteilt. Das heißt auch, dass Gründer Gerlich weiterhin fürs Blumengießen zuständig ist.

Gemeinsam im Unternehmen entscheiden -was PlanSinn lebt, davon träumen einer repräsentativen Umfrage der Technischen Universität München (TUM) aus dem Jahr 2015 zufolge zwei Drittel der Befragten. "Der Mensch ist ein Zoon politicon und möchte Mitsprache", überrascht Wolfgang G. Weber, Professor für Angewandte Psychologie an der Universität Innsbruck, das Ergebnis nicht, "in diesem Sinn trägt eine Demokratisierung zur Humanisierung der Arbeit bei." Der Wissenschafter forscht seit 20 Jahren zum Thema und kennt die Bandbreite an Strukturen sowie Prozessen: von klein-bis mittelständischen Unternehmen im kreativen Bereich und in der Computer-sowie Software-Branche, in denen sich direktdemokratisch alle an Entscheidungen beteiligen, bis zu Konzernen wie John Lewis Partnership in England, wo sich in einer repräsentativen Demokratie die Angestellten am Firmenkapitel beteiligen und über ein demokratisch paritätisches Gremium mitbestimmen können.

Die Kontrolle bleibt entweder in der Hand der Besitzerfamilie oder bei einer Stiftung mit sozialem Auftrag. "Partizipation macht dort Sinn, wo es etwas zu entscheiden gibt, wo es um längerfristige Dienstleistungs-sowie Produktinnovationen geht", sieht Weber einen roten Faden in der Vielfalt, "bei Fließbandarbeit oder für schnellen Profit ist sie nicht geeignet." Unternehmen wie diese gibt es in den USA und Europa einige. Österreich hinkt etwas hinterher: 1988 waren zirka 70 demokratische Betriebe nachgewiesen, eine aktuelle Schätzung existiert nicht.

Seit der letzten Finanzkrise sieht Weber vermehrtes Interesse an demokratischen Unternehmen, bieten sie doch einige Vorteile. Sie sind für Investoren interessanter und als Arbeitgeber attraktiver, hat eine weitere Umfrage der TUM 2015 ergeben. Diverse internationale Studien untermauern das: Wer partizipieren kann, ist zufriedener, motivierter, fühlt sich stärker für die Entwicklung des Unternehmens verantwortlich und mehr mit der Firma verbunden.

Zudem werden Innovationsfreude und die Bereitschaft der Belegschaft gefördert, sich Entwicklungen anzupassen oder Ideen einzubringen. "Auch hinsichtlich ihrer Lebensdauer schneiden demokratische Unternehmen in Studien in der EU und den USA im Vergleich mit hierarchischen Unternehmen eher positiv ab", weiß Weber, "sie existieren länger, gehen in den ersten fünf Jahren weniger bankrott und sind pauschal betrachtet nachhaltiger."

Die Ursachen liegen auf der Hand, übernehmen doch die Beschäftigten je nach Form nicht nur Verantwortung für das Unternehmens-Controlling, sondern sind auch am Kapital beteiligt: "Da achtet man darauf, sich selbst nicht die Arbeitsplätze wegzunehmen."

Dass man dafür schwere Entscheidungen in Kauf nimmt, hat Therese Fuchs vom Wiener Fahrradbotendienst "Hermes" erlebt. Seit zehn Jahren fährt sie bei Schön- und Schlechtwetter Pakete aus. Die Wienerin ist damit die zweitlängst Gediente in der elfköpfigen Radlertruppe, die seit ihrer Gründung vor 24 Jahren basisdemokratisch vom Kollektiv der freien Mitarbeitenden geführt wird. Mit allem, was dazu gehört: Jeder erhält denselben Stundenlohn, Aufgaben wie Buchhaltung oder die Betreuung des Facebook-Accounts werden aufgeteilt.

Diskussionen und Streit

In einem monatlichen Plenum erstellt das Team die Dienstpläne, bringt Ideen ein und bespricht die Finanzen. "Wir diskutieren über alles und streiten auch viel", so Fuchs, "aber auf Augenhöhe, wie unter Schwestern und Brüdern." Dass da nicht jeder mit seinem Kopf durch die Wand kann, hat sich erst letztens gezeigt: "Das Kollektiv hat gegen die Schlechtwetterzuschläge gestimmt. Ich war eine der wenigen, die anderer Meinung war", versucht Fuchs erst gar nicht, ihren Ärger zu verbergen, räumt aber ein: "Bei uns weiß jeder, wie es um unsere Finanzen steht. Da schafft man das Lohnzuckerl ab, wenn es der Firma gerade nicht gut geht -aus Rücksicht auf die Gemeinschaft. Wir möchten ja alle so lange bleiben wie möglich." Dass die Belastung einer solchen Verantwortung zu viel werden kann, hat sie im Laufe der Jahre erlebt. Die demokratischen Prozesse sind eben nicht für jeden geeignet: "Wer schnell eine Idee umsetzen möchte, ist fehl am Platz. Wenn wir einmal monatlich das Plenum haben, dort ewig diskutieren und dann die Entscheidung aufs nächste Mal verschieben, kann das frustrierend sein. Man braucht schon Geduld."

Denn partizipative Strukturen verlangen allen Beteiligten soziale und kommunikative Kompetenzen ab: Alpha-Tiere sind hier genauso fehl am Platz wie Menschen, die besonders empfindlich sind. "Auch ein gewisses fachliches Bildungsniveau kommt hier zugute", hat Wolfgang Weber festgestellt, "weil man verantwortungsvoll mitreden und Entscheidungen treffen muss." Dass letztere länger dauern und kurzfristiges Reagieren auf Marktgegebenheiten unmöglich ist, wird oft als weiterer Nachteil von demokratischen Unternehmen angeführt.

Schwächere hochziehen

Dem kann aber mit einer Qualifizierung der Beteiligten im pädagogischen und psychologischen Bereich gegengesteuert werden, weiß der Forscher: "Studien schätzen, dass bei einer Demokratisierung eines Unternehmens zehn bis 20 Prozent der Mitarbeiter Probleme haben, gewisse Themen mitzubestimmen, weil es ihnen an Kommunikationsfähigkeiten oder Selbstvertrauen mangelt. Da braucht es Moderationstechniken und die grundlegende Kompetenz, problembezogene Diskussionen zielorientiert zu führen, sodass jede Meinung zum Tragen kommt, ohne unnötig Zeit zu verschwenden.

Es sind diese Skills, die das Team von PlanSinn ihren Kunden bei Kommunikations-sowie Partizipationsprozessen zur Verfügung stellt und intern in der Praxis erprobt. "In monatlichen Jour Fixes und jährlich vier Klausuren managen wir 90 Prozent des Redens über unsere Organisation", sagt Gerlich, "sonst wird nicht viel miteinander gesprochen." Zumindest nicht über die Arbeit. Das ist ein Prinzip, das besonders fürs gemeinsame Essen gilt: In der Küche soll Platz sein, sich über anderes auszutauschen. Darüber etwa, wie man die Flüchtlinge aus der Nachbarschaft einbinden kann.

Das zeigt die Forschung über demokratische Unternehmen nämlich auch: Deren Beschäftigte sind gesellschaftlich sozialer eingestellt und engagieren sich stärker für das Gemeinwesen. "Es mag idealistisch erscheinen, aber aus diesem Grund brauchen wir mehr Demokratie in Unternehmen", sieht Weber das große Ganze und fügt pragmatisch hinzu: "Abgesehen davon, dass verankerte Demokratie in Unternehmen auch weniger Finanzskandale zur Folge hätten, weil man nicht walten und schalten kann, wie man möchte. Das würde dem Staat viel an Steuern sparen."

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