Empfindsame Erzählerin

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"Flusswege" von Beatrice Eichmann-Leutenegger: Ein Hürdenlauf durch Wien und Europa mit gutem Ausgang.

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"Flusswege" von Beatrice Eichmann-Leutenegger: Ein Hürdenlauf durch Wien und Europa mit gutem Ausgang.

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Sie lebt in Bern und zählt zu den wichtigen Literaturkritikern der Schweiz. Ihre essayistischen Arbeiten haben ihr internationalen Rang eingetragen.

Seit Beatrice Eichmann-Leutenegger vor fast dreißig Jahren ein Teil des Nachlasses der deutschjüdischen Dichterin Gertrud Kolmar zufiel, wurde die Beschäftigung mit jüdischer Literatur zu einem Schwerpunkt ihrer intellektuellen und publizistischen Tätigkeit. Wer im intellektuell-poetischen Sinn über feministische Anliegen innerhalb der deutschsprachigen Literatur spricht, wird auf ihre Beiträge ebenfalls nicht verzichten können. Zugleich liegt ihr jedes politische oder gar militante Engagement ferne, sie möchte nur dem Wesen des Weiblichen in der Gesellschaft und Kultur nachspüren.

Erst im jüngsten Jahrzehnt ist Beatrice Eichmann-Leutenegger auch als Autorin belletristischer Werke hervorgetreten, neben dem Roman "Der Mann aus der Arktis" vor allem mit dem Erzählband "Verabredungen mit Männern" ( 1994) und nun mit einer Sammlung von elf Geschichten, die unter dem Titel "Flusswege" erschienen sind.

Dieses Buch, wie auch alle ihre früheren Arbeiten, weist die Schweizer Autorin geradezu als Österreicherin aus. Österreich ist nicht nur der Schauplatz eines Großteils ihrer Prosa, österreichisch in der feinsten Tradition Ingeborg Bachmanns oder llse Aichingers ist auch ihre Sprache. Das wehmütige und dennoch federleichte Antupfen von Seins- und Gefühlsbereichen, die fast durchgehende Melancholie um etwas Verlorenes oder doch im Verlorengehen Begriffenes, das manchmal einen Federstrich Zuvielsetzen, ohne deshalb in die Sentimentalität abzustürzen, das ist österreichisches Erbe der feinsten und langsam im Aussterben befindlichen Art. Allein schon deshalb, aber vor allem der Qualität ihrer Prosa wegen, verdient Beatrice Eichmann-Leutenegger auch und gerade hierzulande einen wachsenden Leserkreis. In einer Zeit, wo Schriftsteller ihre Leser nach Japan oder Feuerland führen, ohne in ihnen mehr als ein Gähnen des Übersättigtseins zu bewirken, versteht es Beatrice Eichmann-Leutenegger, eine Bahnreise von Bern nach Innsbruck anzutreten (ohne dass diese Orte übrigens benannt würden, aber der Leser erkennt sie bald), und die Reise erscheint wunderbar und weit.

So hat sie es in ihrem Roman gehalten, so schafft sie es wieder in ihren neuesten Erzählungen. Mit dieser Seelenoptik ist es dann bis nach Wien wirklich eine Weltreise, und eine Weltmetropole der Empfindungen wird Wien in dieser Prosa allemal. Das "Cafe Engländer" wird zu einem Zauberort, und das Verlorengehen in U-Bahn und Schneefall in der Erzählung dieses Titels eifert, nur zeitgerechter und kurzatmiger halt, den Schrecken Adalbert Stifters (etwa in "Bergkristall") nach. Zu dick aufgetragen, zu sentimental, zu feierlich, könnte ein Kritiker, der um jeden Preis etwas Böses sagen will, vielleicht einwenden; aber das zweite Lesen schon mildert diesen Eindruck, zeigt, dass die Autorin der "Flusswege" mit Absicht überzeichnet, nahezu gewaltsam Möglichkeiten wie Unmöglichkeiten der menschlichen Bedingung in ein grelles sowie mildes Licht zu setzen versucht. Denn die Erzählungen, alle elf in diesem Buch versammelten, sind Texte der Trauer und des Bedauerns, weil etwas versäumt worden ist.

Und fast hat es den Anschein, als würde das Zeitvergehen, das uns nolens volens auferlegte, Schuld schaffen - die Zeit unsere böse Tat! Dieses Aufreißen einer Dimension mag besser geraten sein, wie in "Die Reise nach Brügge", wo man nur den allerletzten Satz bedauern mag (wie viel kann ein letzter Satz kaputt machen!), oder schlechter (wie in der in Gmunden am Traunsee angesiedelten Erzählung "Pierre und Pierrette", wo die Autorin in ihren rokokohaften Übertreibungen zu weit geht), es braucht immerhin Mut, in Prosa ganz man selbst zu sein, und Mut verdient Achtung. Ein seltenes Entgleisen gehört zum Experiment ebenso wie das Gelingen. Gelungene Geschichten gibt es in diesem Buch genug. "Salon Franco" gehört dazu, und vor allem "Taxi, bitte!". Die Unebenheit im Niveau dieser Erzählungen beglaubigt die Autorin, rückt sie dem Leser näher, wenn sie einmal mit der Stimme einer reifen Frau, dann wieder im Kinderton daherredet, manchmal nur plappert, meistens aber etwas zu sagen hat, das uns nicht nur erreicht, sondern weiterhelfen kann. Gerade dort, wo das Kind ersteht, gewinnt diese Prosa an Dringlichkeit und wird gültig; dann wird niemand die Sehnsucht bezweifeln dürfen oder wollen, die zur Sprache wird. Andere Texte, wie "Sommerparadies", erreichen diese Höhe nicht. "Dreinschwatzen gilt nicht in der Kirche", lautet ein Satz darin, den man umwandeln möchte in "Dreinschwatzen gilt nicht in der Prosa!" "Die Toten meiner kleinen Stadt" bringt den Roman "Der Mann aus der Arktis" zurück, und überhaupt eine Menge von literarischen Assoziationen - sei es in den Titeln, sei es in den Texten. Eine Autorin, die auch als Literaturkritikerin arbeitet, kennt natürlich vielerlei, und ob und wie sie ihr Wissen "vergisst" oder benutzt, stellt eine besondere Hürde in ihrem Schaffen dar. "Lieber heidnisch als allzu fromm" heißt es in dieser Geschichte, und man ist versucht, es anders zu lesen: "Lieber unbedarft als allzu klug!"

Die Autorin mutet uns zu ihrem und unserem Glück nicht zu, ihre Belesenheit zu bewundern. Sie will vielmehr, dass wir ihre Empfindsamkeit anerkennen.

Aber in der letzten Erzählung des Bandes, "Äußere Elisabethengasse", steht zu lesen: "Unser Zahnarzt übertreibt..., er sollte seine Gefühle nicht so offen zeigen" Es wäre falsch, dieses Zitat auf Beatrice Eichmann-Leutenegger anzuwenden, denn es ist Aufgabe des Dichters und Autors, seine Gefühle offen zu zeigen. Es ist eine Frage des literarischen Könnens, die uns zum Ja der Zustimmung oder zum Nein des Widerstandes treibt. Dieses riskante Spiel (und es ist ja viel mehr als Spiel) ist die Aufgabe der Kunst, und Beatrice Eichmann-Leutenegger erzwingt über mutige Hürden hinweg am Ende ein deutliches, dankbares Ja.

Flusswege. Erzählungen Von Beatrice Eichmann-Leutenegger Nagel und Kimche, Zürich 2000, 190 Seiten, geb., öS 248,-/e 17,38

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