Geisteshaltung, die auf Gefühlen beruht

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In Wien feiern national-freiheitliche Burschenschafter am Samstag einen großen Festkommers. Sie idealisieren ihre Geschichte, anstatt eine kritische Auseinandersetzung darüber zu führen .

Burschenschaften haben in den vergangenen Monaten einiges an Aufmerksamkeit in Medien und Politik erfahren. Es geht meist um die Mitgliedschaft von Politikern in diesen Vereinigungen und deren Verhältnis zu Rechtsextremismus und Nationalismus. Dabei handelt es sich bei den Burschenschaften in Österreich um eine vergleichsweise kleine Gruppe, die kaum mehr als 2300 Personen umfasst. Ihr öffentliches Auftreten, die Tatsache, dass zahlreiche prominente Politiker aus ihren Reihen kommen und dass die FPÖ vielfach als Sprecherin für ihre Anliegen und Positionen aufgetreten ist, machen aber klar, dass dieser Gruppe Beachtung geschenkt wird. Sie selbst erhebt den Anspruch, Elite zu sein, und wird durch diese Entwicklungen darin auch bestätigt.

Die Debatten sind nicht selten durch Empörung geprägt. Während die eine Seite Vorwürfe in Hinblick auf Rechtsextremismus erhebt, antworten die Fürsprecher der Burschenschaften regelmäßig mit Verweisen auf deren Geschichte und Leistungen. Auffallend ist jedoch, dass sich die Burschenschaften selbst praktisch nie zu Wort melden und keine öffentliche Diskussion führen. So brechen alle Ansätze zu einer Vertiefung der Auseinandersetzung, zu Differenzierung und Kritik irgendwann ab. Dazu kommt, dass Kritiker und Fürsprecher oft nicht bereit sind, die Diskussion zu führen. Vielfach können sie gar nicht anders, als aneinander vorbeizureden: Burschenschaften sind primär ein Produkt des 19. Jahrhunderts, die Einstellungen, Gefühle, Traditionen und Sprache dieser Zeit im Heute aufgreifen und in einer oft glaubensmäßigen Überzeugung zu bewahren und zu leben suchen. Sie sprechen damit bewusst eine Sprache und verwenden Formen, die von vielen nicht verstanden werden können.

Historischer Wendepunkt 1945

Jeder Versuch, die Welt der Burschenschaften zu umreißen, ist eine Gratwanderung und beinhaltet die Gefahr, vereinnahmt zu werden. Daher sei hier versucht, sich jenen Idealen, die Burschenschaften in ihren Selbstdarstellungen anführen, von der Perspektive der Geschichte der Mentalität und Gefühle zu nähern. Es sollen keine vorschnellen Wertungen vorgenommen, sondern die Grundlagen, auf die sich Geisteshaltungen und politischen Einstellungen vieler Burschenschafter beziehen, dargestellt werden.

Bis in die Zwischenkriegszeit haben Studentenverbindungen eine große Rolle vor allem an deutschsprachigen Universitäten gespielt. Viele Vorstellungen von Studentenleben und -romantik fanden in ihnen ihren Ausdruck und Verbreitung in der Populärkultur. Verbindungen traten in vielerlei Organisationsformen auf, die zum Teil auch konfessionell geprägt waren. Nationalfreiheitliche und nationalkonservative Gruppen dominierten an Universitäten und unter Akademikern. Dieses Milieu ist im Nachhall des 2. Weltkriegs zusammengebrochen und besteht heute – vor allem in Hinblick auf ihren Anteil an der Gesamtzahl der Studierenden – nur mehr in Restbeständen. Ihr Auftreten macht diese aber umso auffälliger.

Tradition der deutschen Nationalbewegung

Besonders exponiert sind Burschenschafter, die mit hohem Sendungsbewusstsein in Erscheinung treten. Sie sehen sich in der Tradition der Befreiungskriege gegen Napoleon und der dabei entstandenen deutschen Nationalbewegung. Sie verweisen auf die Gründung der Burschenschaft in Jena 1815, das Wartburgfest 1817, das zu einem zentralen Bezugspunkt des deutschen Einigungsstrebens werden sollte, und ihre Teilnahme an den Revolutionen von 1848. Die Zeit danach und die Brüche, die sie kennzeichnen, werden hingegen kaum erwähnt. Die nationale Avantgarde der Zeit vor 1848 musste erleben, dass ihre Ziele von Konservativen umgesetzt wurden, während die gesellschaftlichen, wirtschaftliche und technische Veränderungen ihr elitäres Sonderbewusstsein in Frage stellten, was auch der überzeugte Burschenschafter Max Weber in seinem wissenschaftlichen Werk bemerkte. Die politischen Ziele vieler Burschenschafter radikalisierten sich und gerade in Österreich wurde ein rassisch-orientierter Antisemitismus propagiert. Die beiden Weltkriege erschütterten das gesellschaftliche Umfeld der Burschenschaften auf eine Weise, die keinen Anschluss mehr an vergangene Zeiten ermöglichte.

Stattdessen wird bis heute die Kontinuität der Gemeinschaft und der Ideale betont. Das Prinzip des Lebensbundes, das die Verbindung prägt, wird zum Treueband über Generationen. Die Kritik an der Burschenschaft und ihrem Handeln zu einer bestimmten Zeit kann damit auch zu einer Kritik an der Burschenschaft heute werden. Die Kritik an einem Mitglied, selbst wenn es wie der Grazer Burschenschafter Ernst Kaltenbrunner als einer der Haupttäter des NS-Regimes verurteilt wurde, kann so zur Kritik an allen werden, der es entgegenzutreten gilt. Das wird noch dadurch bestärkt, dass es sich bei Burschenschaften meist um kleine Gemeinschaften handelt, die während des Studiums ihr Leben überwiegend gemeinsam gestalten.

Dieser Lebensbund kommt in dreifacher Form zum Ausdruck: äußerlich, durch das Tragen der Studentenmütze und des Farbenbandes, körperlich, durch die Narben der Mensurkämpfe, des ritualisierten Zweikampfes, der als Ausdruck von Selbstüberwindung, Bewährung und Männlichkeit verlangt wird, und innerlich, in den Einstellungen und Idealen, die in den Prinzipien „Ehre, Freiheit, Vaterland“ zusammengefasst werden.

Diese Ehre, die hier zum sinn- und identitätsstiftenden Element wird, die es zu wahren und zu verteidigen gilt, ist den meisten Menschen heute fremd geworden. Das Verständnis von ihr ist eng mit der Ausprägung und Rollenfindung des Bürgertums im 19. Jahrhundert verknüpft. Die sozialen, wirtschaftlichen, technischen und politischen Umbrüche dieser Zeit fanden ihr Gegenbild in einem scheinbar immateriellen, zweckfrei und in der Person wurzelnden Ehrbegriff, der weit verbreitet und nicht auf Studenten beschränkt war. In ihr schienen die Klagen über den Verlust von Gleichgewicht und Harmonie im männlichen Lebensentwurf, den Goethe in „Wilhelm Meister“ oder Schlegel beschrieben hatten, Erlösung zu finden. Sie stand – in all dem, was uns heute irrational scheint – dem „Nützlichkeits-, Erfolgs- und Genusskult“ einer so empfundenen materialistisch-realistischen Moderne entgegen. Die Selbstbehauptung der Persönlichkeit und die mit ihr verbundene Abgrenzung von anderen wird bis heute von den Burschenschaften betont.

Wehrhaftigkeit als ein Ideal

Ehre, wie sie von Burschenschaftern verstanden wird, ist ein starkes Gefühl, aber ihr Fühlen muss erlernt, diszipliniert und inszeniert werden. Das ist der zweite Aspekt. Burschenschaften sehen sich als Erziehungsinstitutionen, denen es um die Prägung von Denk- und Verhaltensweisen geht. Ihr heroisches Ideal zeigt sich einerseits im Bemühen um den Ausdruck der Persönlichkeit, andererseits in der Bereitschaft, sich einer Gemeinschaft ganz ein- und unterzuordnen. Damit einher geht die Einübung von Standhaftigkeit und Abhärtung, die sich in forschem Auftreten und einem oft demonstrativen Handeln ohne Mitleid bis hin zu einer moralischen Indifferenz, wie es der Soziologe Norbert Elias beschrieben hat, zeigen kann. Unsicherheit und mangelndem Selbstwertgefühl, das sich gerade in Lebens- und Zeitbeschreibungen von Männern im 19. Jahrhundert häufig findet, wurde auf diese Weise geantwortet.

Das Verständnis von Freiheit und Vaterland hängt eng damit zusammen. So wie Ehre wird Freiheit als etwas Ursprüngliches gesehen, das es zu bewahren und gegenüber dem Staat zu verteidigen gilt. Dabei soll kein vorschneller Schluss auf den Kampf gegen den Absolutismus gezogen werden. Diese Freiheit steht auch den Massendemokratien skeptisch gegenüber, deren Entwicklung als einschränkend und einmischend empfunden wird. Die Wehrhaftigkeit, die als Ideal die Freiheit ergänzt, ist folglich auch die Fähigkeit, sich selbst zur Wehr setzen zu können, das Recht in die eigene Hand zu nehmen.

Nähe zu den Nationalsozialisten

Dementsprechend ist das Ideal des Vaterlandes etwas, das dem Staat vorausgeht, und das letztlich über ihm steht und den Staat in seinen verschiedenen Entwicklungsstufen, in seinen Kontinuitäten und Brüchen überdauert. Wenn Burschenschafter heute vom deutschen Vaterland singen, für das sie auch ihr Blut geben würden, denken sie damit über die heutigen Staaten Deutschland oder Österreich hinaus. Es geht wiederum um ein ursprüngliches Verständnis des Volks, das in schicksalhafter Verbundenheit durch die Geschichte geht und diese bestimmen soll. Folglich wird – in der Selbstdarstellung – etwa auch dem 2. Weltkrieg primär als Schicksalsstunde des deutschen Volkes gedacht.

Die drei Prinzipien, die Farben und Formen des Auftretens, die Traditionen und das Ritual der Mensur sind durch starke Elemente der Abgrenzung gegenüber anderen geprägt. Burschenschafter können sich so als hervorgehoben und für sie in einem durchaus positiven Sinn unverstanden fühlen. Diese Grundlagen werden empfunden und gelebt, sie sind durch starke Gefühle und letztlich durch eine große Tendenz zur Bewahrung und Abwehr geprägt. Wer das nicht nachfühlen kann, dem wird unterstellt, nicht darüber sprechen zu können. Das Fühlen steht einer rationalen Diskussion entgegen. Im Grunde findet sich eine sehr betont nationale, ausgrenzende und konservative Ideologie im Mittelpunkt der Burschenschaften, die pauschalen Kennzeichnungen als „nationalsozialistisch“ entgegensteht. Zugleich kann aber auch von Burschenschaftern nicht bestritten werden, dass manche ihrer Ideale eine Nähe zur Ideologie der Nationalsozialisten aufweisen und dass das immer wieder zu entsprechendem Engagement einzelner Mitglieder und Bünde führt. Die Auseinandersetzung darüber steht jedoch von ihrer Seite her nach wie vor aus.

* Der Autor ist Jurist und Historiker in Wien

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