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Das Volksschauspieldorf Axams

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Im Innsbrucker Mittelgebirge gab es am zweiten Maisonntag dieses Jahres ein eindrucksvolles Beispiel dafür, wie innig und fruchtbar die Wechselbeziehung zwischen Wissenschaft unci Volk werden kann, wenn die Volkskunde die Ergebnisse ihrer Forschung dem Leben und seinen Forderungen dienstbar macht. Dreihundert Jahre hütet die Heimat Karl Schön- herrs ihre Spieltradition vom „Ägyptischen Josef”, und so stark bewährt auch heute noch das „Theater” seine gemeinschaftbildende Kraft, daß in den Spielzeiten alle Standes- und Parteiunterschiede zurücktreten und ein heiliger Eifer das ganze Dorf erfaßt. Heuer gipfelte das Gemeinschaftswerk in einem feierlichen „Dorftag”, zu dem der Bürgermeister die Nachbargemeinden, die Kulturbehörden von Innsbruck und Tirol und die Landesregierung selbst herbeigeholt hatte; und auf dem Dorfplatz, inmitten aller Dorfbewohner, kam in den festlichen Ansprachen der Einheimischen wie der Gäste immer wieder das Bekenntnis zum Ausdrude: Wir sehen in den üblen Einflüssen städtischer Zivilisation ein die alte Dorfgemeinschaft zerstörendes Gift; darum wollen wir das Erbe der Väter festhalten und neu erwerben. Daß dieses Erbe noch so lebendig in Ehren steht, daß es dem ganzen Dorf Stolz und Selbstbewußtsein einflößt, dankt es freilich auch Einflüssen der „Oberschicht”: vor allem der volkskundlichen Wissenschaft, die in Tirol wie in Steiermark die Volksnahe nie verloren, sondern stets bewußt angestrebt hat. So kam der ‘ Dank des Dorfes für nimmermüde Ermunterung, Aneiferung und Betreuung seiner Volkskultur durch Universitätsdozent Dr. Anton Dörrer in der Verleihung des Ehrenbürgerrechts an diesen wissenschaftlich und volks- bildncriseh gleich verdienten Mann zu spontanem Ausdruck — eine Auszeichnung, die der Gefeierte mit einem neuen wertvollen Geschenk an die seit Jahrzehnten von ihm liebevoll betraute Gemeinde vergalt: er machte ihr die eine der beiden ältesten Handschriften ihres Josef- Spiels aus dem 17. Jahrhundert zum Geschenk, die nun nach langer Wanderschaft wieder Eigen, tum ihres Ursprungsortes wird und in einem der Archive des Landes ihre sichere Heimstätte finden wird als stolzer Zeuge und steter Mahner ruhmreicher Überlieferung. In der Fassung, die nach vielen Wandlungen der Text des Volksschauspiels innerhalb dreier Jahrhunderte, zuletzt vom jetztigen Spielleiter Alois Zorn, erhalten hat, spielten die Axamcr am Nachmittag in ihrem vor Jahrzehnten selbst geschaffenen Bühnenhaus ihren „Josef und seine Brüder” in einer von sorgfältiger Durcharbeitung aller Einzelheiten zeugenden Darstellungsart, die die Ausdrudcsmittcl des städtischen Bühnenstils etwa der Jahrhundertwende auf dieses bäuerliche Spiel überträgt. Eine kleine Schau von Merkwürdigkeiten geschichtlicher und volkskünstlerischer Art vervollständigte das Bild dieses Festtages, den ein seiner kulturellen Eigenart bewußtes Gemeinwesen sich selbst gab.

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