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AufriB der christlichen Sozialreform

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DIE SOZIALE FRAGE. Von Johannes Messner. Siebente, neubearbeitete und erweiterte Auflage. Verlag Tyroiia, Innsbruck—Wien—M ünchen. 796 Seiten. Preis, Leinen, 380 S

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DIE SOZIALE FRAGE. Von Johannes Messner. Siebente, neubearbeitete und erweiterte Auflage. Verlag Tyroiia, Innsbruck—Wien—M ünchen. 796 Seiten. Preis, Leinen, 380 S

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Nichts vermag die Bedeutung und das Einflußgewicht des Standardwerkes von Johannes Messner besser zu kennzeichnen als die Tatsache, daß sein Buch über die „Soziale Frage“ vorgelegt wird; 30 Jahre nach Erscheinen der ersten Auflage. Die besondere und für ein wissenschaftliches Werk erstaunliche Verbreitung hängt vor allem damit zusammen, daß „Die Soziale Frage“ in der vom Autor gewählten Darstellungsweise und wegen des umfangreichen Index eine doppelte Funktion zu erfüllen vermag: Es ist nicht nur ein Lehrbuch sondern auch ein Nachschlagwerk, das zudem stets an die neuen Wirklichkeiten und Erkenntnisse angepaßt wurde.

Die laufende Adaptierung der Grundprinzipien christlicher Moral (Sozialmoral) an die sich wandelnden Tatbestände zeigt sich, wenn man die beiden letzten Auflagen mit der nunmehr vorliegenden vergleicht. Die fünfte Auflage, 1937 abgeschlossen (und wegen der Okkupation nur in der Schweiz verbreitet), hatte eine völlig andere Welt zu interpretieren, einen anderen Kapitalismus und einen anderen Sozialismus als etwa die sechste Auflage. Diese, 1956 erschienen, hatte bereits einen geläuterten, einen Neokapita-lismus und einen diesem konformen, gleichsam nachmarxistischen Sozialismus zum Gegenstand der Kritik. Sieben Jahre später, in der vorliegenden Auflage, ist der Verfasser in wissenschaftlicher Ehrlichkeit bemüht, sowohl den Kapitalismus als auch den Sozialismus, wie er sie bei unvoreingenommener Prüfung vorfindet, darzustellen. Als Ergebnis dieser Prüfung kommt der Autor zum Schluß, daß sich beide Systeme, die in einer Fehlentwicklung der Gesellschaft begründet sind, weitgehend gewandelt haben und der konkreten Programmatik der christlichen Sozialreform nahegekommen sind. Anderseits haben die letzten Sozialenzykliken neue Hinweise aul die Chancen gegeben, das Sittengesetz in der Form des angewandten Naturrechtes in die Wirklichkeit der Gesellschaft zu übersetzen: Grund für den Verfasser, auch die Elemente der christlichen Sozialreform in neuer Form darzustellen.

Das Buch entspricht in seiner Gliederung der Nominaldefinition dessen, was man unter „Sozialer Frage“ versteht. Zuerst wird der Kapitalismus, der als Arbeitshypothese verstanden werden muß, kritisch untersucht (klassische Kapitalismuskritik); hierauf beschäftigt sich der Verfasser mit dem Sozialismus, der heute ebenfalls bereits in einer so vielfältigen Weise darzustellen ist, daß man kaum von dem Sozialismus sprechen kann. Der dritte und entscheidende Teil des Werkes stellt eine Systematik der Christlichen Sozialreform dar. Zuerst wird die Entwicklung der christlichen Sozialordnungsversuche geschildert. Uber eine philosophischweltanschauliche Grundlegung und eine Erläuterung der Grundgedanken kommt der Verfasser zu einer Analyse der Anwendungsbereiche (Gesellschaft, Wirtschaft, Kultur).

Mit der Neuauflage seiner „Sozialen Frage“ bietet uns Johannes Messner einen den letzten Rundschreiben der Päpste konformen Aufriß der christlichen Sozialreform. Diese stellt sich dem Verfasser keineswegs als eine Summe sozialpraktikabler Rezepte dar, die in jeder Situation und in jeder Region angewendet werden können. Worum es Messner geht, ist die Konstitution einer Systematik christlicher Grundwahrheiten angesichts sozialökonomischer Fehlentwicklungen. Wenn auch die Welt immer mehr eine profane Welt zu werden beginnt, ist keineswegs dadurch (indirekt) ausgewiesen, daß die Welt von gestern eine Vergegenständlichung christlicher Perfektion war (S. 738); sie war weder (wie uns Romantiker glauben machen wollen) eine Eigentümergesellschaft (eine „proprietäre Gesellschaft“ nach H. Belloc) noch war in ihr dem Eigentum die Erfüllung seiner sozialen Funktion gesichert.

Sozialreform ist für Messner keineswegs ein nur-soziales oder gar lediglich ein nur-ökono-misches Anliegen, sondern soll in erster Linie als eine vom Kulturellen her ansetzende totale Reparatur verstanden werden. Die Bereiche der Wirtschaft sind nicht nur in materiellen, bezifferbaren Prozessen angezeigt, sondern auch Kulturbereiche — freilich besonderer (subsidiärer) Art. Jedenfalls war für Messner die christliche Sozialreform stets eine Kulturfrage (S. 704), angesichts der Tatsache, daß alles Wirtschaften auf den Menschen und die humanen Prozesse bezogen ist, die freilich sachgesetzlich, etwa durch ein Dargebot materieller Güter, bestimmt sind.

Gemeinsam mit dem im gleichen Verlag erschienenen „Katholischen Soziallexikon“ ist das Werk Messners Kern einer sozialwissenschaftlichen Literatur in der Schauweise des Katholischen.

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